Mit Emma auf Nostalgie-Tour

HERMESKEIL. Mit einem historischen Schienenbus zuckelten 140 Gäste ab Bahnhof Hermeskeil in das saarländische Städtchen Freisen. Voraussichtlich zum letzten Mal, denn die Eisenbahnstrecke Türkismühle-Freisen wird im Jahr 2004 stillgelegt.

Ein eisiger Wind fegt Sonntagnachmittag über den zugigen Bahnhof, als Bernd Heinrichsmeyer mit einem lauten "Bitte vom Bahnsteig zurück treten!" die drängelnde Gästeschar vor dem einfahrenden Zug warnt. Geschoben von einer 47 Jahre alten Diesellokomotive der ehemaligen Birkenfelder Eisenbahn, fahren drei Schienenbusse ein - nun gilt es, einen warmen Platz zu ergattern. Ganze Familienverbände, vom Kleinkind bis zum betagten Großvater, eingefleischte Eisenbahn-Nostalgiker, befreundete Paare mit vielen kleinen Kindern - das bunt gemischte Publikum nimmt angesichts der Außentemperaturen gern auf Tuchfühlung Platz.Kondenswasser rinnt die Scheiben hinunter

"Das habe ich mir exklusiver vorgestellt", ist die erste Resonanz vom achtjährigen Christian beim Betrachten des eher nüchtern eingerichteten Schienenbusses. Aber dann ruckelt der Zug los, es geht durch den Steigerwald in Richtung Türkismühle. Regelmäßig bietet der Hochwaldbahn e.V. Sonderfahrten an. Dazu gehört auch die traditionelle Adventsfahrt, die dieses Jahr zum siebten Mal stattfand. "Eigentlich ein Defizitgeschäft für uns", meint Vereins-Geschäftsführer Bernd Heinrichsmeyer. Doch die Fahrten erfreuen sich ungebremster Nachfrage. So auch am Sonntag, als die 140 Gäste gen Saarland rattern. Sie wollte ihrem Enkeltöchterchen doch mal zeigen, wie es ist, Zug zu fahren, meint eine freundliche Großmutter. Ein paar persönliche Wehmutsgefühle scheint sie noch dazu zu haben, schließlich ist sie die Strecke bis zur Einstellung des Personennahverkehrs vor über 30 Jahren täglich gefahren. Nun ist damit Schluss, und Enkelin Latisha wischt eifrig das Kondenswasser von den beschlagenen Scheiben - auch das gehörte schon in früheren Schienenbus-Zeiten dazu. Ein kurzer Halt, und es darf ein Blick in die Diesellok namens "Emma" geworfen werden. Sie ist eine von 52 eigenen Schienenfahrzeugen des Hochwaldbahn-Vereins, der daneben noch 180 geliehene Fahrzeuge hat. Satte 50 000 Euro steckte der Verein vor drei Jahren in die Lok, um sie aufzuarbeiten. Vom Führerstand gibt es eine phantastische Aussicht über die stille Landschaft. Eine Rudel Rotwild flüchtet aufgeschreckt davon, ein Hund läuft entlang der Gleise, Pferde galoppieren über eine Weide. Eine Idylle, die nur durch eine wilde Müllkippe kurz vor Türkismühle und die gellenden Pfeifsignale der Lokführer getrübt wird. Schließlich muss an allen Überwegen vor dem selten gewordenen Zugverkehr gewarnt werden. Immer wieder gibt es Zwischenstopps auf der insgesamt 34 Kilometer langen Strecke von Hermeskeil nach Freisen. Willkommene Gelegenheit für Schnappschüsse von Hobbyfotografen oder für diejenigen, die wie in Schwarzenbach im Dauerlauf zur Gaststätte stürmen. Was seinen Grund nicht etwa in plötzlichen Hungerattacken, sondern einem anderen menschlichen Bedürfnis hat. Schließlich führt der letzte der drei Schienenbusse einen beträchtlichen Getränkevorrat mit sich - darunter sechs Liter Glühwein, die bereits in Freisen vertilgt sein werden. So macht sich eine ausgeprägte Alkohol-Wolke im Zug breit, es wird gemütlich, man kommt zueinander.Eltern lesen Geschichten vor

Die Kinder krabbeln auf allen Vieren durch den Gang, turnen an den Armaturen und malen Herzchen auf die beschlagenen Fenster. Jugendliche spielen Schach oder basteln, Brote und Kekse werden ausgepackt und Eltern lesen Weihnachtsgeschichten vor. Nur die zweijährige Latisha verschläft auf Omis Bauch ihre erste große Fahrt - das gleichmäßige Zuckeln hat sie eingelullt. Bewegung kommt in die Schar, als der Zug in Freisen eintrifft. Bernd Heinrichsmeyer, nun als Nikolaus verkleidet, verteilt Geschenksäckchen an die Kinder. Es ist bitter kalt, und langsam kommt der Wunsch nach Heimkehr auf. "Die Fahrt dauert ein bisschen lang", meint ein Vater, der nicht erwartet hatte, dass der Ausflug rund vier Stunden dauert. Der Zug darf die Höchstgeschwindigkeit von 46 Stundenkilometern nicht überschreiten - so ist es rabenschwarze Nacht, als "Emma" heimwärts rollt. "So kalte Füße hatte ich das letzte Mal bei der Bundeswehr", meint ein Mann aus Otzenhausen, der sich trotz des beheizten Zugs fröstelnd von der Sitzbank erhebt. Die Außentemperaturen liegen im Minusbereich, als die Gäste sich eilig an Gleis zwei verabschieden. "Bis zur nächsten Fahrt", rufen sich einige zu.

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