Die Sprache verbindet

Erbeskopf · Die Regionaltagung im Hunsrückhaus am Erbeskopf hat sich mit identitätsstiftenden Merkmalen der Hunsrücker befasst. Eine Gemeinsamkeit sind sprachliche Eigenheiten, die es sonst nirgends in Deutschland gibt.

Erbeskopf. "Den Hunsrück gibt es nicht", lautet das provozierende Thema der Regionaltagung im Hunsrückhaus am Erbeskopf. "Wir hoffen, dass sich das mit diesem Tag ändert", sagt der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Thalfang, Marc Hüllenkremer, zu den mehr als 50 Besuchern der Tagung. Der Hunsrück sei etwas Besonderes, das müsse herausgestellt werden. "Sonst bekommt es keiner mit", sagt er.Helmut Ulmen (Kreisverwaltung Bernkastel-Wittlich), der die Veranstaltung moderiert, bedauert, dass der künftige Nationalpark nicht schlicht "Nationalpark Hunsrück" heißt, sondern dass ein "Hochwald" angehängt wird. "Damit wird eine Gelegenheit versäumt, etwas Identitätsstiftendes zu schaffen", sagt er.Doch bereits beim Vortrag von Jürgen Schmidt, Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas an der Uni Marburg, wird klar: Die Sprache eint den Hunsrück. Scharfe sprachliche Kanten grenzen den Hunsrück besonders gegen Süden hin ab. "Die Dialektgrenze ist noch aktiv", sagt Schmidt. Als Beispiel nennt er das Wort bringen. Sagt der Hunsrücker "bringen, brachte, gebracht", heißt es in der Pfalz und im Saarland "brung." Diese Form ist im 20. Jahrhundert vom Elsass bis in die Pfalz gelangt, hat jedoch an der Grenze des südlichen Hunsrücks Halt gemacht. Schmidt: "Die Hunsrücker sind sich bewusst: Unsere Sprache ist anders, das gehört nicht dazu, das nehmen wir nicht an."Er erwähnt auch den Tonakzent der Hunsrücker, der in Deutschland fast einzigartig ist. Der Morbacher Guido Reitz, Bruder des Filmregisseurs Edgar Reitz, hat das Phänomen erforscht. Demnach zerlegt der Hunsrücker eine lange Silbe sprachlich in zwei Teile. Je nachdem, ob der zweite Teil tiefer oder höher gesprochen wird, erhält das Wort eine andere Bedeutung. "Diese Ausgestaltung der Tonakzente gibt es in anderen Dialekten nicht", sagt Schmidt. Sein Resümee: "Jedes Wort hat eine kleine Tonabweichung. Daran erkennen sich die Hunsrücker überall."Einen Rückblick in die Zeit vor Christi Geburt wagt Florian Schneider (Universität Jena). "Der Hunsrück hat für die Entwicklung Mitteleuropas eine wichtige Rolle gespielt", sagt er. Anhand von Grabfunden sind Verbindungen bis in die Champagne, die Ardennen und nach Österreich nachgewiesen. Man habe auf Gräberfeldern bei Horath, Osburg und Bescheid reich ausgestattete Prunkgräber gefunden. Diese haben vermutlich dazu gedient, die Nachbarorte zu beeindrucken. Woher der Reichtum stammte, mit dem sich die damaligen Bewohner diese Teile leisten konnten, ist unklar. Extra

… Martina Helffenstein. Die gelernte Germanistin Martina Helffenstein (58) hat quasi hauptberuflich mit Mentalitäten in Rheinland-Pfalz zu tun. Sie betreibt seit 20 Jahren für den Gemeinde- und Städtebund "Saalü! Das Heimatprojekt für Rheinland-Pfalz". Dabei ist sie ständig im Gespräch mit Menschen aus verschiedensten Regionen. Was unterscheidet die Hunsrücker von anderen Landsmannschaften? Helffenstein: Kommt drauf an, von wie nah oder weit weg man auf den Hunsrück schaut. Die "Rhauner Bachschbaudzer" sind und reden, so heißt es, ganz anders wie die im Nachbardorf, in "Schdiebse" (Stipshausen), wo "die Hahne piepse". In der Eifel sind die Bauern freundlich und gutmütig, sagen die von der Mosel. Man bekommt seinen Preis für seinen Wein. Die Hunsrücker jedoch "haben schon früher Augen wie Katzen" sagen die Moselaner und meinen damit, der Hunsrücker sei geschäftstüchtig. Von, sagen wir mal, Berlin aus gesehen, ist der Hunsrück genauso Provinz wie die Eifel. Mit vielleicht einem Unterschied: Die Nähe zu Frankreich macht den Hunsrücker anders als den Odenwälder. Warum tun sich die Hunsrück-Bewohner mit ihrer Identität so schwer? Helffenstein: Das genau zu erklären, wäre eine Doktorarbeit. Deshalb nur paar Stichworte: Die Kultur des Hunsrücks war aufgrund seiner kleinteiligen räumlichen Gliederung über Jahrhunderte deutlich durch lokale und regionale Dialekte und Baustile geprägt. Wichtig dabei: die Zersplitterung in katholische und evangelische Dörfer. Mehr oder weniger arm waren sie aber alle. Und außerdem häufig Durchzugsgebiet für Soldaten. Da ist das wenige, was man hatte, auch noch oft zerstört worden und ein Stolz, auf das, was man hat, ist gar nicht so einfach zu entwickeln. Jedenfalls kein selbstbewusster Stolz. Wie die Bayern auf Bayern stolz sind. Die tun ja grad so, als hätten sie mit dem Herrgott persönlich die Alpen geschnitzt. Eine Dachmarke, hinter der die Menschen stehen und die nach außen einen Bekanntheitsgrad hat, ist für viele Dinge wichtig, zum Beispiel für den Tourismus. Was kann man tun, damit der Hunsrück den Anschluss nicht verliert? Helffenstein: Tja. Nur mit "gefillte Klees, Spiesbroare unn Stubbi" geht\\'s wohl nicht. Doch was hat er noch, der Hunsrück? In einer Zeit, wo regionale und lokale Eigenheiten verloren gehen, Brauchtum unter dem Einfluss der globalen Massenkultur zu Brauchtums-Entertainment verkommt? Traditionen und damit Identifikationsmöglichkeiten schwinden? Eine Marketingstrategie für den Hunsrück lässt sich nicht mal ganz schnell entwickeln. Also hier nur kurz ein Bauchgefühl: Natur, viel Natur, viel unterschiedliche Natur "in the middle of nowhere". iroExtra

 Martina Helffenstein. Foto: privat

Martina Helffenstein. Foto: privat

Beispiele für Wörter, die im Hunsrücker Platt je nach Betonung eine andere Bedeutung erhalten: Hell: Steht einmal für helle Farbe oder für Hölle. Maad: Bedeutet einmal Made wie die Made im Apfel oder Maad wie Markt. Haut: bedeutet je nach Betonung "Haut" oder "Heute" Leese: Steht einmal für "lesen", bedeutet aber anders betont "lösen" cst

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