Entfremdung, über die keiner spricht

Schwatz auf dem Weg zur Weihnachtsvesper. "...ja, schön wars. Die Kinder sind schon wieder weg mit dem Enkelchen. Aber irgendwie ..." "Was, irgendwie?" "Na ja, die teilen doch unsere Weltanschauung. nicht mehr.

Gottesdienst? Vielleicht gerade noch die Kindermetten - wegen des Kleinen. Was bleibt denn da eigentlich von Weihnachten?" Ich spüre die Enttäuschung und die Ratlosigkeit. In allen Familien unserer weiten Bekanntschaft, alle kirchlich geprägt, dasselbe Bild: Die Kinder haben die kirchliche Praxis der Eltern nicht übernommen. Ihre Gottesdienste finden in Diskotheken oder Fußballstadien statt, ihre Gemeinden sind die Cliquen und Freundeskreise. Ein Zweites fällt mir ein: Die kirchlichen und traditionellen Vorstellungen von Sexualität und Partnerschaft sind genau so vollständig aufgegeben worden. Damit das nicht missverstanden wird: Wir halten unsere Kinder nicht für schlecht. Wir sehen, dass sie Werte leben und auch vertreten, die wir so oft nicht verteidigt haben. Wir wissen auch, dass es "natürliche" Zeiten von größerer Nähe und größerer Distanz zu überkommenen Lebensweisen gibt. Aber: Niemand in der Kirche spricht davon. Niemand nimmt die Ratlosigkeit und Traurigkeit vieler Eltern wahr. Wie werden in 30 Jahren unsere Kirchen aussehen? "Wie kann unser guter Pfarrer das nur aushalten?", fragt mein Bekannter. "Er sieht die Situation. Und Woche für Woche spricht erdagegen an. Dem Mann gehört eine Tapferkeitsmedaille." Ich gebe ihm Recht. Aber diese Medaille gehört auch den Eltern, die nicht aufhören, mit ihren Kindern zu reden, mit ihnen die Gemeinschaft zu halten selbst da, wo Werte ganz unterschiedlich sind. Gibt es Trost? Nein. Wir werden uns von vielem verabschieden müssen. Mehr noch: Wer erfahren hat, wie es ein Leben reich macht, wenn die Mythen der Seele an die Bilder der Kirche gebunden gelebt werden, der kann nur Sorge haben. Es sieht so aus, als hätten sich alle Versuche zur Umkehr dieses Entfremdungstrends totgelaufen. Bleibt nur das Vertrauen auf den Geist Gottes, der sich seinen Weg auch durch sehr raue Gefilde bahnen kann. Und das offene Gespräch unter denen, die sich sorgen. Lilo Musseleck, Wittlich

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