Vom Gasthaus fanden die Kühe allein heim

Vom demografischen Wandel ist viel die Rede. Wie sich das dörfliche Leben und die einst bäuerliche Gesellschaft verändert haben, scheint aber kaum noch zu interessieren. Fast unbemerkt verschwanden jetzt die beiden letzten Kühe aus dem Hochwalddorf Hattgenstein.

 Ein Bild aus besseren Tagen: Inzwischen ist der Stall von Agnes Kehrt (rechts) und Rudi Schmidt verwaist. Die Geschwister waren die letzten Kuhbauern in Hattgenstein. Foto: Gerhard Ding

Ein Bild aus besseren Tagen: Inzwischen ist der Stall von Agnes Kehrt (rechts) und Rudi Schmidt verwaist. Die Geschwister waren die letzten Kuhbauern in Hattgenstein. Foto: Gerhard Ding

Hattgenstein. Ein Viehhändler hat vom Hunsrück "Lieschen" und "das Fahl", die beiden letzten Milchkühe im Ort, abgeholt. Landwirtschaft - einst prägend fürs Hochwalddörfchen Hattgenstein - gibt es jetzt nur noch auf dem Aussiedlerhof, draußen in der Gemarkung.

Die Mühen mit Melken und Misten hätten Agnes Kehrt und Rudi Schmidt wohl noch einige Jahre ohne Murren in Kauf genommen. Aber das mit der Milch lohnte sich zuletzt einfach nicht mehr, ist sich das Geschwisterpaar einig. Mit Ruhestand habe die Entscheidung, die Kühe abzuschaffen, nichts zu tun, versichern beide. Und Arbeit bleibe auch so genug. Das Brennholz, das sich neben dem Küchenherd stapelt, schlägt Rudi Schmidt, der im Januar seinen 75. Geburtstag feiern wird, immer noch selbst.

Nach der Schule gleich die Kuh anspannen



Bauern waren die beiden schon immer, "wenn auch nicht immer gern". Besonders als Kind mussten sie oft hart ran, erzählt Kehrt, Schmidts 66-jährige verwitwete Schwester. Wenn sie mittags aus der Schule kamen, wurde gleich die Kuh angespannt, dann ging es raus auf die Felder. Die lagen auf Schwollener Gemarkung, in Oberhambach und sogar in Rötsweiler, wo die Mutter herkam.

Ansonsten kamen die meisten "Hohwäller", wie man die Bauersleut' aus dem Hochwald drunten im Tal etwas spöttisch nannte, nicht allzu weit in der Welt herum. Der junge Rudi schaffte es immerhin bis Bingen an den Rhein und nach Morbach ins Sägewerk, weil sich der Bauernsohn nebenbei noch bei einem Holzspediteur verdingte und auch ein bisschen im Straßenbau half.

Ferien aber kannte keiner. Und hätte es da nicht eine Zwangspause gegeben - ein komplizierter Beinbruch, den er sich bei einem Arbeitsunfall mit dem Holzfuhrwerk zuzog, fesselte ihn anno 1985 nahezu zwölf Monate ans Krankenbett -, wäre Rudi Schmidts Leben (aber auch das seiner Schwester) wohl nichts als Arbeit und immer wieder Arbeit.

Dennoch ist nichts von Verbitterung zu spüren, wenn die beiden von harten Zeiten und früher erzählen. Im Gegenteil: Großvater fuhr mit seinem Kuh-Gespann immer nur bis an den Stadtrand von Birkenfeld, amüsieren sie sich noch heute. Und hinter vorgehaltener Hand verraten sie: Auf dem Rückweg kehrte Opa mit Vorliebe im Gasthaus Burger in Ellenberg ein. Da konnte er unbesorgt einen trinken, von dort fanden die Zugtiere allein heim.

Vielleicht nicht sonderlich temperamentvoll, aber durch und durch gutmütig war das Rindvieh aus Vaters Stall: Agnes Kehrt hat die Hattgensteiner Dorfchronik hervorgekramt und darin einen Schnappschuss aus ihren Kindertagen entdeckt: sie hoch auf dem Rücken einer Kuh ins Dorf einreitend, ihr peitschenschwingender Bruder daneben.

Ein paar Seiten weiter: eine finster dreinblickende Gestalt mit schwarzem Hut - der "Alle Dach". So genannt, weil er sich fast jeden Tag gen Birkenfeld auf den Weg machte. "Ein Teufelskerl", erzählt Rudi mit Respekt, wie August Hofmann, so der bürgerliche Name des "schwarzen Manns", einst in Feckweiler ein junges Rind eigenhändig zwei Treppen hoch trug. Brutal war er, weiß Agnes zu berichten. Als Fuhrmann wie als Mensch griff "Alle Dach" gern zum Knüppel, war ein Schläger. Aber Respekt vor der Kreatur muss sein, sagen beide. Auch wenn man als Bauer ein ganz eigenes Verhältnis zu (Schlacht-)Vieh hat.

Wohl deshalb habe der Verkauf der letzten beiden Kühe keineswegs die Feiertagslaune getrübt: "Das ist halt der Lauf des Lebens!"

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