Babylon im Hunsrück

RAVERSBEUREN. Ska, Indie-Pop, Punk, Jazz und Rock’n’Roll: Wer versucht, alle diese Stile bei einem Festival unter einen Hut zu bringen, ist normalerweise zum Scheitern verurteilt. Nur bei der Lott, dem legendären Hunsrück-Festival, funktioniert diese Mischung ganz problemlos.

So ganz überblickt hat Tiger Lou, alias Rasmus Kellerman, die Struktur des Lott-Festivals nicht. "Das ist ja eine Art Punk-Rock-Festival", so kündigt der Schwede ein Stück an, das am Ende eine Spur härter wird. Auch wenn die "Lott" vieles ist - ein Punk-Festival ist sie sicher nicht. Mag sein, dass es eine Band auf der Bühne mal krachen lässt. Wie die Kölner "The Fyredogs", die am Freitagabend schon früh den pogo-willigen Lott-Nachwuchs mit dreckigem Garagen-Rock von den Beinen holten. Auch "Boozed" passen da noch rein. Und da beim Lott-Festival traditionell alle Generationen quer durch die Bevölkerungsschichten zu finden sind (und vermutlich mehr Kinder als bei jedem anderen Musik-Festival), findet man auch mal einen Punk, wenn man denn einen sucht. Aber ansonsten? Tiger Lou spielen Indie-Rock mit viel Melodie, sind englisch angehaucht. Da kracht es allenfalls wohl dosiert. Kellerman & Co. haben dabei schwierige Voraussetzungen, die Zuschauer zu begeistern. Zudem gibt es Jazz, teilweise gar Swing zu hören. Insgesamt kamen am Wochenende 5500 Zuschauer zur Lott - aber am Freitagabend trotzt nur ein kleiner Teil davon unmittelbar vor der Bühne den unerbittlichen Wasser-Attacken des Hunsrück-Himmels. So liefern Tiger Lou zwar einen guten Auftritt ab. Aber an die Gewinner des Abends können sie schon wetterbedingt nicht heranreichen: Das waren Lampshade, eine Band der zumeist leisen Töne aus Schweden und Dänemark. Dabei hat deren Hauptsängerin Rebekkamaria Andersson ein Luxus-Problem, das der großen Karriere vielleicht nicht förderlich ist: Die Stimme der Dänin erinnert stark an Björk. Auch wenn es die Lampshade-Sängerin gar nicht mal darauf anlegt, wie der isländische Pop-Star zu klingen. Die Band braucht ein paar Minuten, ihre Eigenständigkeit zu zeigen. Dann aber bekommen sie das ohnehin zumeist wohlwollende Lott-Publikum in den Griff: mit Glockenspiel- oder Geigen-Einlagen, gelegentlich zweistimmigem Gesang. Eher Pop als Rock, mit zarten sphärischen Anklängen, nicht verkopft, aber auch nicht anspruchslos. Dazu zwei Frontfrauen im weißen Kleid - die warme "Nicht-Björk" Andersson und Keyboarderin und Geigerin Rebecka Wallgren, die nur auf der Bühne die kühle Blonde gibt. Am Samstag waren die Voraussetzungen für die Bands besser - das Wetter hielt, die Wiese füllte sich: Für die ausgelassenste Stimmung sorgte dabei die französische Ska-Band Babylon Circus. Am Sonntag sorgten die Lokalmatadoren "Elektrisch Hildegard" traditionell für den Frühschoppen-Abschluss.

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