Bohlen, Lennox - und nach Haus

KÖLN. Den folgenden Konzertvergleich lesen Sie mit freundlicher Unterstützung von Sir Paul McCartney beziehungsweise meiner Unfähigkeit, mich rechtzeitig mit den opulenten Ticketpreisen für dessen Kölnkonzert abzufinden (der TV berichtete).

Dass der geplante Familienausflug zum Popdenkmal entfiel, hatte aber zwei weitere Gründe: erstens Oliver (10), zweitens Julia (8). Die beiden finden "Deutschland sucht den Superstar" cool (im folgenden kurz DSDS genannt), und so beschlossen meine Frau und ich, das einmalige Erlebnis McCartney auf zwei Abende zu verteilen: Montag mit den Kindern DSDS in der Köln- arena, Dienstag - zur Belohnung - zu zweit Annie Lennox in der Kölner Philharmonie. Montag 18.30 Uhr, Kölnarena. In Erwartung 18 000 schreiender Kids habe ich mich sorgsam vorbereitet: Mit Watte in den Ohren und einem Kölsch in der Hand beobachte ich das Treiben. Vornehmlich meinesgleichen (Eltern Mitte 30 aufwärts) drängt zu den Hallenaufgängen. Déjà-vu-artig werde ich das Gleiche einen Abend später in der Philharmonie wiedererleben (bis auf die Watte, versteht sich!) Wir betreten das weite Areal des Multiplexes. Überraschung: Während die Ränge der Halle gut ausgelastet sind, ist der Innenraum vor der Bühne für das Publikum hermetisch abgeriegelt - zumindest steht dort niemand! Später werden uns hektische Hostessen auf den Knien anflehen, doch mit unseren Kindern nach unten zu wechseln. 9000 Zuschauer besuchen die Show im riesigen Oval, ein Drit- tel davon im Kernzielgruppenalter unter zwölf Jahren. Selbst mit dem Brillenträger des Jahres, Daniel K., dem demokratisch ermittelten Superstar Alexander und dem Pop- Titan(-ic) Dieter Bohlen ist es nicht gelungen, das Konzert auszuverkaufen! Überhaupt Bohlen - pünktlich um halb acht betritt er ganz in Weiß, mit einem Nr.1-T-Shirt bekleidet wohlgelaunt die Bühnenbretter. Mit launigen Sprüchen moderiert er uns durch die Reihen der schon fast vergessenen Talente neun bis vier (Andrea, Nektarios und HastDunichtgesehen). Superstar a. D. Nicole erfreut uns mit dem "Eurythmics"-Klassiker "Who‘s that Girl". Déjàvu-artig werde ich das Gleiche einen Abend später in der Philharmonie wiedererleben (ohne Nicole, versteht sich!) Endlich, nach einer Stunde halbwegs ordentlich vorgetragener Cover-Songs aus den Motto-Shows von DSDS erscheinen die Stars: Daniel K. fliegt an einem Flaschenzug befestigt durch die Halle und krächzt seinen "Superman", Bohlen tut so, als spiele er Klavier, Juliander und Alexette formieren sich zu zweifelhaften Tanzformationen, die Bilder verschwimmen, noch ein Kölsch bitte! Wir verlassen die Arena kurz vor Ende des Konzerts. Unseren Begleitern aus der Kernzielgruppe, Oliver und Julia, hat es prima gefallen. Oliver bringt die Crux von DSDS-Stars mit einem Satz auf den Punkt: "Ich freue mich schon auf die neuen ,Superstars‘!" Ein Abend später die Kölner Philharmonie: ausverkauftes Haus, andächtige Stimmung, hochgesteckte Erwartungen - Annie Lennox ga-stiert in der Domstadt. Eine halbe Stunde zu spät, wie es sich für eine Diva gehört, betritt Lennox mit Band die Bühne. Schon nach den ersten Takten ist klar, das der Vergleich mit DSDS nicht wirklich in Ordnung geht: Hier gibt es nur einen Superstar - der ist es dafür schon seit zwanzig Jahren! Nach zehn Minuten erhebt sich das Auditorium zur ersten Standing Ovation, nach einer halben Stunde wendet sich Annie das erste Mal mit Worten an das Auditorium (Standing Ovation). "Walking on broken Glass", "Who‘s that Girl", "Cold"... Beim Bühnenumbau bleibt die Sängerin allein auf der Bühne zurück (Standing Ovation) "Sweet dreams" solo am Flügel; ich glaub‘, ich muss gleich heulen (sagt natürlich meine Sitznachbarin!). "Would I lie to you" - keiner setzt sich mehr hin. "Why", der letzte Titel verbunden mit einer Spendenbitte für Unicef. Dann verlässt Miss Lennox mit ihrer formidablen Band nach zwei Stunden ein durch Mark und Bein erschüttertes Publikum. Soll Deutschland weiter einen Superstar suchen - ich habe in Köln einen gefunden!

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