Brecht am Ballermann

Die Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" von Kurt Weill und Bertolt Brecht hat derzeit Konjunktur. Vielleicht, weil die Geschichte von der Sagen-Stadt, in der alles käuflich ist und außer dem Gesetz von Angebot und Nachfrage keine Regeln mehr existieren, aktueller ist denn je. Die neue Produktion im Grand Théâtre legt diese Vermutung jedenfalls nahe.

Luxemburg. Es ist leichter, Geld aus Menschen herauszuholen, als es dem Erdboden abzutrotzen. Mit diesem einleuchtenden Argument gründen drei gesuchte Gauner eine Entertainment-Stadt namens Mahagonny, in der Nähe der Goldgräber-Regionen, in denen Menschen unter erbärmlichen Umständen Gold aus dem Boden oder den Flüssen schürfen.In Mahagonny gibt es alles, wonach sich die Männer sehnen, die monatelang geschuftet haben: Frauen, Alkohol, Glücksspiel, Boxkämpfe. Jedenfalls so lange Geld da ist, um zu bezahlen.Regisseur Philipp Himmelmann holt das Stück von Brecht/Weill aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts in die Gegenwart. Sein Mahagonny liegt am Ballermann, oder in einem dieser Wochenend-Ausflugs-Hotels, in denen Horden von Altherrenteams, Kegelrunden oder Stammtischen ihre Mannschaftskassen in Schnitzel und Bier umsetzen, Sangria aus Schüsseln trinken und darauf hoffen, abends nicht allein ins Bett gehen zu müssen. Himmelmann inszeniert diese Milieustudie nicht mit dem Zeigefinger, sondern mit leichter Hand und ironischem Blick, gespickt mit sarkastischen, bisweilen ins Absurde tendierenden Elementen, manchmal auch frech mitten im Publikum.Dabei hilft das starke Bühnenbild von Elisabeth Pedross. Es beginnt in einer kahlen Schneelandschaft, in deren Mitte sich bald das sonnige Vergnügungs-Center ausbreitet, wo es prall, bisweilen auch recht drastisch zugeht. Links und rechts schneit es symbolträchtig während des ganzen Stückes weiter, während eine intelligente Lösung mit einer beweglichen Wand stimmige und schnelle Szenenwechsel möglich macht.Geschichte ist schlüssig, schräg und konsequent

Irgendwann bricht mit einem Taifun die äußerliche Bedrohung herein, die aus der - bis dahin schlimmstenfalls stillosen - Spaßgesellschaft ein menschenverachtendes "Alles ist erlaubt"-System macht.Die Luxemburger Produktion, die zuvor in Nancy erarbeitet worden ist, setzt die Geschichte schlüssig, schräg und konsequent um. Und sie verfügt dabei über eine geradezu luxuriöse Besetzung. Alle voran Helena Juntunen als Prostuitierte Jenny, eine Rolle, die extrem schwierig zu singen ist, weil sie mitten im Niemandsland zwischen Chanson und klassischer Oper liegt. Juntunen kann beides, und exzellent spielen kann sie auch.Den im Grunde anständigen Jim Mahoney, der sich vom Endzeit-Hype anstecken lässt, singt mit mächtigem, gut geführten Tenor Albert Bonnema, der derzeit begehrteste Siegfried außerhalb von Bayreuth. Renée Morloc ist eine Edelbesetzung für die Mahagonny-Chefin Leokadja Begbick, wie überhaupt einmal mehr in Luxemburg fast in allen Rollen Sänger zu sehen und zu hören sind, die sich auf hohem internationalen Niveau bewegen.Die Sinfoniker aus Nancy zeigen sich unter der Leitung von Paolo Olmi als versiertes Weill-Orchester mit sehr präsentem Klang und rhythmischer Verve. Anhaltender Beifall im nicht ausverkauften Haus.

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