Das größte Spielkind der Welt

Für das renommierte Time-Magazine zählt Herbie Hancock in diesem Jahr zu den 100 einflussreichsten Menschen des Planeten. Beim Auftritt in der ausverkauften Luxemburger Philharmonie hat der Jazz-Pianist mit seiner Band gezeigt, dass man endlos reisen kann, ohne seine Heimat dabei zu verlieren.

 König der Tasten: Herbie Hancock fühlt sich am Keyboard genauso wohl wie am Flügel oder am Laptop. Foto: Philharmonie

König der Tasten: Herbie Hancock fühlt sich am Keyboard genauso wohl wie am Flügel oder am Laptop. Foto: Philharmonie

Luxemburg. (AF) Die "Grammy"-Verleihung 2008 - gesucht wird das Album des Jahres. Unter den Nominierten sind die "Foo Fighters". Hart, laut, geradeaus. Dann Amy Winehouse - retro, schrill und irgendwie tragisch. Und eben Jazzer Herbie Hancock, der letztlich mit seiner Hommage an Joni Mitchell die Rock/Pop-Konkurrenz hinter sich lässt. Er wirkt fast fremd - weil er in drei, vier Worte nicht zu fassen ist. Oder ist jeder, der überall unterwegs ist, ein Fremder? Sein Hit "Rockit" - den Hancock beim Auftritt in Luxemburg nicht spielt - gilt als erste Zusammenarbeit eines Jazz-Musikers mit Hip-Hop, ein Riesen-Erfolg 1983. Zehn Jahre später füllte "US3" mit einem Cover von Cantaloupe Island die Tanzflächen. Später adelt Hancock die Beatles oder auch "Nirvana" (mit Foo-Fighter-Chef Dave Grohl), indem er deren Songs bearbeitet. Dann folgte Techno. Zuletzt Joni Mitchell. Von Miles Davis, den Headhunters & Co ganz zu schweigen.

Ist also Hancock das natürliche Gegenteil von "AC/DC"? Vielleicht. Ist er ein Mann, der nicht weiß, wo er hin will? Nein! Auch wenn ihm die Jazzpolizei die Ausritte in die vermeinlichen Pop-Tiefebenen und Techno-Ghettos gern krumm nimmt.

Herbie Hancock, mittlerweile 68, ist und bleibt ein Spielkind. Im positivsten Sinne. Er sitzt beim Konzert in der Philharmonie in seiner Technik-Burg - mit Spielzeug aus den letzten Jahrzehnten. Vor und neben ihm thronen Synthesizer, Laptop-Monitore flimmern, daneben: der Flügel. Bei der Zugabe schnallt sich Hancock das Umhänge-Keyboard um. Das ist ein Dino aus dem Instrumenten-Jurassic-Park, aber für Hancock durchaus brauchbar: So blitzt die diebische Freude aus seinen Augen, wenn er im Frage/Antwort-Spiel die Bühnen-Kollegen fordert.

Es ist die Essenz der Jahrzehnte, gepackt in gut zweieinhalb Stunden - opulent, präzise und bisweilen atemberaubend. Die minutenlangen Soli, die vertrackte Rhythmik oder die Verweigerung, einfach mal zwei Takte lang einen simplen A-Dur oder E-Moll zu spielen - das ist alles so tief im Jazz verwurzelt, dass jeder zarte Rock/Pop- oder auch Klassik-Anflug (mit Hancock allein am Flügel) zur kleinsten Randnotiz wird. "Das ist so schwierig, das bekommen wir kaum hin", kokettiert Hancock, als er Lionel Louekes grandios sperriges "Seven Teens" (im 17/8-Takt) anmoderiert. Klar, dass die Band das mühelos durchexerziert: Bass und Schlagzeug (James Genus und Kendrick Scott) sind phänomenal. Gitarrist Loueke, gebürtig aus Benin, brilliert zudem mit einem Solo-Stück: einer Mischung aus afrikanischem Erbe, Jazz-Harmonie, Sound-Effekten und - ja! - einem mitklatschenden Publikum. Auch Grégoire Maret (Harmonica) setzt Akzente. Da hat es Terence Blanchard - einer der großen Jazz-Trompeter - schwer, den eigenen Stempel aufzudrücken. Am Ende gab's Standing Ovations für den wohl wichtigsten Jazzmusiker - und seine eindrucksvolle Begleitband.

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