Der Ernst des Lebens und das Danach

Vor 25 Jahren hat sich "Ideal" aufgelöst - die Berliner gehörten zu den einflussreichsten Bands der Neuen Deutschen Welle. Der aus Trier stammende "Ideal"-Bassist Ernst Ulrich Deuker erinnert sich im TV an spannende Jahre zwischen Mauer, Musen und Monotonie.

Trier/Berlin. Der Gedanke an die Neue Deutsche Welle mag einiges aus dem Gedächtnis-Orkus hochspülen, was besser unten bliebe: Verschossen in Sommersprossen, ohrwurmt es sinnfrei. Pogo in Togo. Bloß kein Knutschfleck. Kleine Taschenlampe, brenn mir diese Gehirnzellen weg. Bitte!Der gebürtige Trierer Bassist Ernst Ulrich Deuker, mittlerweile 53 Jahre alt, war ein Teil der Neuen Deutschen Welle. Für falsche Erinnerungen kann er nichts. "Mit einigen Bands will ich lieber nicht in einen Topf geworfen werden", sagt der Wahl-Mecklenburger, wenn er sich an die frühen 80er zurückerinnert. Vor exakt 25 Jahren endete seine Zeit als Popstar - etwas, was Deuker ohnehin nie sein wollte. Da hatte sich "Ideal" aufgelöst, ganz offiziell, per Telex, das quer durchs geteilte Land geschickt wurde. Schluss mit "Blaue Augen" und ein Ende der "Eiszeit" und der "Monotonie" - um nur drei "Ideal"-Titel zu nennen: Die Berliner Band mit Sängerin Annette Humpe, Gitarrist Frank Jürgen "Eff-Jot" Krüger (im April 2007 an Krebs verstorben), Trommler Hansi Behrendt und Deuker an den dicken Saiten war Vergangenheit.

"Wir haben uns rechtzeitig zerstritten, bevor von der NDW nur noch Nena übrig war", sagt Deuker im Interview mit dem TV. So bestand "Ideal" zwar nur gut drei Jahre. Aber die erfüllten den mächtigen Anspruch des Bandnamens. "Schon bei der ersten Probe haben wir drei Stücke gemacht", sagt Deuker. Vielleicht ein halbes Jahr später, im Mai 1980, kam die erste Single raus, "Wir stehen auf Berlin". Im August dann der Durchbruch: Vor dem Berliner Reichstag gab "Barclay James Harvest" ein Gratis-Konzert vor 150 000 Zuschauern. "Ideal" spielte im Vorprogramm - und wurde abends in der "Tagesschau" ausgiebig vorgestellt. Es folgte eine ausverkaufte Tour, zudem goldene Schallplatten für die Alben "Ideal" und "Der Ernst des Lebens".

Daran war für Deuker noch nicht zu denken, als er sich mit 17 aus seiner Heimatstadt Trier verabschiedete und zu Verwandten nach Berlin zog: ein Abschied an die Groß-Familie in Mariahof, ein "tschüss" ans Friedrich-Wilhelm-Gymnasium und an seine erste Band, das Rock-Trio "Chaos". Deuker selbst interessierte sich früh auch für Jazz, spielte in Berlin auch in Jazz-Rock-Bands. Der Punk schepperte wirkungslos an ihm vorbei ("das hat mich nicht so interessiert"), beim New Wave hörte er aber zu: Da kickte wieder Spannendes aus dem Königreich. XTC, The Police, Joy Division. Dann kamen Annette, Eff-Jott und Hansi, den Deuker schon vom Jazz kannte - und die "Ideal"-Linie begann. Eine Band in Anzügen und Kleid, die so war wie West-Berlin: cool und chic, distanziert und doch einnehmend, oft düster, ein bisschen morbide und doch voll "unglaublicher Energie" (Deuker). Eiszeit war nicht nur ein "Ideal"-Titel, sondern auch ein Lebensgefühl. "Man ging auf Distanz. In den Bars dominierte Neonlicht, alles war sehr kühl", erinnert sich Deuker. Fast eine Gegenbewegung zum Hippietum und der "freien Liebe" der 68er.

Mit dem Erfolg blühten Erwartungen. Etwa die Erwartung an die Band, im Rock-Pop-Zirkus brav durch die Manege zu tigern. "Irgendwann stand die ‚Bravo' auf der Matte, und zwar ziemlich penetrant", sagt Deuker: "Wir haben denen ein Interview gegeben - das war kein Vergnügen." Es blieb bei dem einen.

Alles durchzuziehen, nur weil es vielleicht ein paar Platten mehr verkaufen könnte, das war nicht Deukers Welt. Als die Band dann auch ihren leidenschaftlichen Boykott von Dieter Thomas Hecks "Hitparade" aufgeben wollte, war es für Deuker vorbei. Bloß das nicht: "Wir hatten immer gesagt, dass wir nicht zum Heck gehen." Er blockte ab. Die interne Spannung wuchs, die Heck-Parade zürnte. Kurze Zeit später ging das Telex raus.

HINTERGRUND

Ideal: Die Berliner Band Ideal gehörte zu den bedeutendsten und einflussreichsten Vertretern der Neuen Deutschen Welle. Zu den bekanntesten Songs gehören "Blaue Augen", "Eiszeit" oder "Berlin". Ideal-Sängerin Annette Humpe ist noch heute mit "Ich & Ich" erfolgreich. Bassist Ernst Deuker verließ Trier 1971. Er ist Dozent (Gitarre/Bass) an einer Schweriner Musikschule und lebt in der Nähe von Schwerin. Derzeit arbeitet Deuker unter anderem zusammen mit Jazz-Klarinettist Theo Jörgensmann - mit Deuker an der exotischen Kontrabass-Klarinette. Seine Eltern leben in Trier-Mariahof. (AF)

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