Der Todesengel holt den Wüstling

LUXEMBURG. Im Dezember hatte die neue Don-Giovanni-Produktion an der Brüsseler Oper Premiere - und sorgte europaweit für Gesprächsstoff. Nur acht Wochen später ist die Aufsehen erregende Produktion im Luxemburger "Grand Théatre" zu sehen.

Die gute Nachricht vorneweg: Wer gedacht hatte, Luxemburg hätte sich nach einer Serie glänzender - und genial ausgewählter - Gastspiele verausgabt, hat sich getäuscht. David McVicars "Don Giovanni" zeigt, dass Steigerungen auch auf hohem Niveau noch möglich sind.Gute Augen sollte man allerdings mitbringen. Denn der Regisseur besitzt den Mut, die Geschichte um den unseligen Verführer weitgehend dort stattfinden zu lassen, wo sie auch spielt: im Dunkeln.Gewitter-Himmel über Sevilla

Ein düsterer, bedrohlich dräuender Gewitter-Himmel liegt über Sevilla, dessen Giebel aus dem Bühnen-Hintergrund ragen wie Grabsteine. Die Handlung beginnt über den Dächern der Stadt und wandert dann im Laufe des Abends immer tiefer in Richtung des Totenkopf-gespickten Leichen-Ackers, an dessen Rand Don Giovanni nach seiner Höllenfahrt am Ende gebettet wird.Es wird nie richtig hell in diesem spanischen Ort, und genau das macht die Verwechslungen möglich, das Incognito-Agieren, das Täuschen und Betrügen, das "Don Giovanni" durchzieht wie ein "roter Faden". Ein Bild, das übrigens nur bedingt zutrifft, verbreiten Bühnenbild (John McFarlane) und Beleuchtung (Jennifer Tipton) doch eher die magische Ästhetik alter Schwarzweiß-Stummfilme.McVicar gelingt es, der Handlung ein Höchstmaß an Plausibilität zu verleihen. Nichts passiert "einfach so", selbst die Bewegung der Requisiten erhält Logik und Sinn.Freilich opfert er dafür die Doppelbödigkeit dieses Opernzwitters, der bei Mozart komische und tragische, ironische und ern-ste, deftige und poetische Elemente enthält. Dieser "Giovanni" ist die tief traurige, hoffnungslose, atemberaubend spannende Höllenfahrt eines Verdammten, der, einem Triebtäter gleich, vernichtet, was er nicht lieben kann.Zum mitreißenden Erlebnis wird der Abend, weil die Luxemburger Philharmoniker unter der Leitung von Bramwell Tovey unten im Graben so spielen, als hätten sie das Bühnenbild ständig vor Augen. Schon die Ouvertüre schickt Schauer düsterer Spannung in den Saal, Hitchcock-Musik, dabei aber klar und transparent wie fein gewebte Gaze. Tovey findet einen funktionierenden Mittelweg zwischen dem gravitätischen Mozart alter Prägung und dem verspielten der neuen Schule. Knapp begleitet, sprachnah die Rezitative, überwältigend die dramatischen Ausbrüche, ohne die Sänger zu überdecken. Man sollte im Hinterkopf behalten, auf was man verzichtet, wenn man diesen Klangkörper aus der Nachbarschaft bei den Antikenfestspielen außen vor lässt.McVicar und Tovey nehmen ihre Handelnden ernst, selbst Don Ottavio, den zaghaften Verlobten der von Don Giovanni geschändeten Donna Anna, oder die betrogene Giovanni-Gattin Donna Elvira, die in anderen Inszenierungen oft als Karikaturen erscheinen. Da klingen bei Arien und Duetten, die man sonst eher der Komödie zuordnet, plötzlich Tragik und menschliche Tiefe durch - ein ganz neues Hör-Erlebnis.Für Hör-Erlebnisse sorgen auch die Solisten. Umberto Chiummo ist ein viriler, gefährlicher, gnadenloser Giovanni, der gleich zum Anfang einen skrupellosen Mord begeht und ruhelos, fast den Tod suchend, durch die Handlung eilt. Stimmstark der Beginn, leichte Ermüdungserscheinungen im zweiten Akt. Petri Lindroos bietet einen Leporello, wie er hinsichtlich gesanglicher Präzision und Kraft mancher großen Bühne nicht einmal für die Titelrolle zur Verfügung steht. Auf Weltniveau das Damentrio Elzbieta Smytka, Nataliya Kovalova und Sophie Karthäuser, elegant und gewandt Jeremy Ovenden als Don Ottavio, effektvoll Rafal Siwek als Komtur, überzeugend in der Rollengestaltung Pierre Doyen als Masetto.Monumentales Effekt-Kino zum Finale

Fast zu schade, um es vorab zu verraten: Der finale Höllenfahrts-Effekt. Da nämlich nutzt Regisseur McVicar schamlos aus, dass sein Publikum die Augen drei Stunden lang an die Düsternis gewöhnt hat und greift tief in die Kiste der großen Theater-Tableaus. Der ermordete Komtur, der den Bösewicht abholt, kommt als halbverweste Leiche buchstäblich aus dem Grab, und als er Don Giovanni am Händchen packt, öffnet sich der Bühnenhintergrund und ein gigantischer Todesengel, ein Skelett mit Flügeln in Bühnenbreite, fährt vor feurig-rotem Prospekt langsam aus der Versenkung auf und beendet mit einem Sensenschnitt das Leben des Bösewichts. Zu dick aufgetragen? Hollywood schlägt Mozart? Mag sein. Aber diesen magischen Theatermoment wird kein Besucher vergessen.Ach so, da war ja auch noch eine schlechte Nachricht: Die verbleibende Vorstellung am heutigen Dienstag ist ausverkauft. Wer es riskieren will, kann sich an der Abendkasse anstellen - bei der Premiere kamen so noch 30 Glückliche in den Genuss dieses Erlebnisses. Die Produktion ist den Versuch wert.

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