Die Neuen kommen - und alles bleibt anders

Trier · Viele Uraufführungen, große Namen, Lokalmatadore, mehr Musicals und - Überraschung! - sogar eine neue Sparte. Wie erwartet, wird Intendant Karl Sibelius das Trierer Theater mit seinem neuen Spielplan tüchtig verändern.

Trier. Im Gänsemarsch führt der Weg über enge Treppenhäuser hinab in dunkle Flure, deren Decken wegen der vielen grauen Versorgungsleitungen bedrückend niedrig sind, vorbei an der Schlosserei, hinauf in den hohen, von Seilzügen beherrschten Raum hinter die Bühne, hinein in die nach Holzspänen riechende Schreinerei, wo Karl Sibelius auf die Journalisten wartet.
Der neue Intendant des Trierer Theaters. Ein Mann mit Hornbrille und geblümtem T-Shirt, auf dessen Ideen die Theaterliebhaber der Region seit Monaten mit Spannung warten und der den etwa 20 Journalisten nach dem Rundgang nicht mehr erklären muss, dass der Theaterbau sanierungsbedürftig ist. Doch darum geht es ja auch diesmal gar nicht. Sibelius und seine Spartenleiter haben eingeladen, um den neuen Spielplan zu präsentieren.
Trotz Bühnenroutine nervös


Obwohl sich gleich alle Kameras auf Sibelius richten, den das trotz seiner Bühnenroutine nervös zu machen scheint, darf Generalmusikdirektor Victor Puhl als erster Spartenleiter das Wort ergreifen. Er ist der Einzige, den alle schon kennen. Der Einzige, den Sibelius nicht selbst ausgewählt hat, der ihm nicht unterstellt ist und der ihm daher, das wurde in den vergangenen Monaten deutlich, in dieser Rolle auch nicht passt. Doch was passiert?
"Alles bleibt anders", sagt Puhl mit französischem Akzent. Und Sibelius findet das so schön, dass er dem Dirigenten freundschaftlich über den Rücken streicht. Grund für die Freude: So lautet nicht nur ein Stück, das Sibelius selbst inszeniert, sondern auch das Motto des neuen Spielplans, der einzig im Konzertleben keine großen Veränderungen bringt: Es gibt die bewährten acht Sinfoniekonzerte, drei Weltkonzerte und die Reihen Klassik um Elf sowie Family Classic.
"Ich freue mich über das vielfältige Programm. Es ist alles nach Wunsch des Generalmusikdirektors", sagt Sibelius.
Schon das neue Spielplanheft kündet davon, dass der Rest Revolution ist. Es besteht aus losen Blättern in Lila und Neonorange, deren Rückseite mit Sprüchen wie "Verrückt Euch!" oder "Das macht nichts, ich bin auch nicht ganz normal" bedruckt ist. Hält man ein Smartphone darauf, öffnet sich, wenn alles fertig ist, ein von Trierer Studenten gedrehter Film über das jeweilige Stück.
Beim Durchblättern zeigt sich: Klassiker sind ebenso unter den 35 Premieren wie Experimentelles, und künftig wird es mehr Musicals geben. "Ich bin ein Fan davon, und die Zuschauer mögen es auch", sagt Sibelius. Geplant sind das Kindermusical "Peter Pan" (Inszenierung Robert Alföldi), das Rockmusical "Jekyll and Hyde Resurrection" (Malte C. Lachmann), "Jesus Christ Superstar" (inszeniert von den Gewinnern des Musical Awards Trier), "Sweeney Todd" (inszeniert von Sibelius transsexueller Kunstfigur Rose Divine) und "Rent" (Malte C. Lachmann), das im New York der 90er Jahre spielt. Einer von mehreren geplanten externen Spielorten wird das Trierer Walzwerk.
Der neue Schauspielchef Ulf Frötzschner wird künftig mit zwölf Schauspielern zusammenarbeiten: sechs Frauen und sechs Männern, von denen nur zwei dem Trierer Publikum vertraut sind: Barbara Ullmann und Klaus-Michael Nix. Frötzschners Begeisterung für ausländische Regisseure schlägt sich auch im Programm nieder. Unter anderem geplant ist: "Der Zauberberg" (Wojtek Klemm), die Komödie "Pension Schöller" (Heike M. Goetze), "Das Wintermärchen" (Marco Storman), "Der Messias" (Marc Wortel) oder "Das Cabinet des Dr. Caligari" (Alice Buddeberg). In "Alles bleibt anders" steht Sibelius selbst auf der Bühne. Zuschauer zahlen für den Abend so viel, wie sie wollen.
Inspiriert von Islands Natur


Katharina John, zuständig für die Sparte Oper, freut sich, dass es ihr und Sibelius gelungen ist, Peter Konwitschny für Trier zu gewinnen. Der vielfach ausgezeichnete Künstler wird Kantaten von Johann Sebastian Bach inszenieren. Ein weiterer Coup: Die isländische Ausnahmekomponistin Anna Thorvaldsdottir lässt sich von der Natur ihres Landes inspirieren, um in Trier eine mystische Oper uraufzuführen. Zudem stehen "Der Fremde" (Rosamunde Gilmore) sowie "Tosca" (Alexander Charim) und "Fidelio" (Tilman Knabe) auf dem Programm. Die einzige Operette bringt der Intendant aus Bayern mit: "Die Großherzogin von Gerolstein", die mit Sibelius alias Rose Divine in der Hauptrolle im Theater an der Rott als Erfolg gefeiert wurde.
In der Tanzsparte, die mit Waltraud Körver, Urs Dietrich und Susanne Linke gleich drei Leiter hat, soll es zehn feste Tänzer und neun Gäste geben. Körver wird choreographisch tätig sein und das Ensemble unterrichten. Die 70-jährige Linke, die als Ikone des deutschen Tanztheaters gilt, und Dietrich inszenieren und sind abwechselnd in Trier. Unter anderem wird Linkes erfolgreiches Tanztheaterstück "Ruhr-Ort", mit dem sie die Arbeit in den Stahlfabriken thematisiert, zu sehen sein. Aber auch Uraufführungen der Choreographen sind geplant.
Völlig unerwartet wird das Theater ab der Saison 2015/2016 noch eine weitere Sparte namens 0.1 haben. Sie soll Bürgern die Möglichkeit geben, mitzumachen, selbst zu spielen, zu singen, zum Teil des Ganzen zu werden. Schon räumlich wird die Öffnung Richtung Stadt bei der Aktion Theaterpark Trier zu sehen sein, die Ateliers, Büros und Studios allen zugänglich machen will. Auch können sich Trierer auf viel Lokalkolorit freuen. Geplant sind Uraufführungen, die sich mit Karl Marx und Nero beschäftigen, denen in den kommenden Jahren große Ausstellungen gewidmet werden.
Künftig wird im Block gespielt


Die neue Spartenchefin Julia Haebler inzeniert in Zusammenarbeit mit dem Domchor und der Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge das Stück "Die arabische Prinzessin". In Kooperation mit der Tufa, der freien Szene, Halbprofis und Laien entsteht die Jazz-Oper "Blue Sheets" (Stefan Bastians), und der aus Trier stammende "Meister" Guildo Horn gibt am Muttertag ein Konzert im Theater. Unter dem Titel "Guildo Horn und die Bekloppten" wird er dort zudem in seiner preisgekrönten Talkshow mit Behinderten diskutieren.
Sibelius\' Stellvertreter Tobias Scharfenberger (der auch singt) kündigt eine weitere Neuerung an: Die Stücke werden künftig lediglich zwei Monate im Spielplan sein, da sie aus ökonomischen Gründen im Block gespielt werden. Das erspare Proben und steigere die künstlerische Qualität. Oberstes Ziel sei es, eine große Vielfalt zu bieten.
Kurz: Alles bleibt anders. Oder wie Sibelius sagt: "Verrücken wir zusammen". Ein Spruch, den er auch gewählt hat, weil der geplante Theaterneubau dies wortwörtlich erfordern könnte.

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