Ein Fall für die Spitzhacke?

KONZ-KARTHAUS. Der Bahnhof des Konzer Ortsteils unterscheidet sich deutlich vom Empfangsgebäude an der Saarstrecke in Konz-Zentrum. Statt herrschaftlicher Repräsentation kultiviert er einen heimatverbundenen, deutschen Nationalstil. Gemeinsam haben die beiden Bauwerke nur eins: das ungewisse Schicksal.

Überall an den Wänden haben Sprayer ihre zweifelhafte Dekorationskunst ausprobiert. Der notdürftig mit Gittern abgesperrte Eingangsraum bietet ein Bild der Verwüstung. Die meisten Fenster sind im unteren Teil mit Spanplatten verdeckt, was das gesamte Bauwerk trist und gesichtslos macht. Der eine herrschaftlich, der andere ländlich

Karthaus, von Konz aus nur wenige Bahnkilometer entfernt Richtung Trier gelegen, am Knotenpunkt von Saar-, Mosel- und Luxemburger Strecke, befindet sich in einem katastrophalen Zustand. Aber selbst jetzt lassen sich noch architektonische Schönheiten entdecken. Trotz der geringen Entfernung voneinander: Die Bahnhöfe Konz und Karthaus haben nicht die mindeste Ähnlichkeit. Während Konz einen herrschaftlichen Repräsentationsstil kultiviert, gibt sich Karthaus ländlich-nationalbewusst. Da spielte der Zeitgeist mit, vielleicht auch der Wille der Baumeister zur Individualität. Kein Bahnhof sollte dem anderen völlig gleichen. Karthaus entstand 1903/04 als Nachfolger von zwei 1876 und 1885 erbauten Bahnhöfen. Wahrscheinlich wurde der Neubau notwendig, weil dort ein Eisenbahn-Knotenpunkt entstanden war und dazu ein Rangierbahnhof mit zahlreichen Bediensteten. Vierzig Jahre nach dem Bau des Konzer Empfangsgebäudes hatte sich im mittlerweile vereinigten Deutschland das Stilempfinden verändert. Karthaus jedenfalls beeindruckt mit malerischen Akzenten. Statt der strengen Symmetrie des Konzer Bahnhofs ist der Bau gezielt asymmetrisch angelegt. Sogar die hoch aufragenden Schornsteine, die dem Gebäude einen eigentümlichen industriell-rustikalen Akzent geben und deren Anordnung selbstverständlich keiner erkennbaren Regel folgt, sind Teil des Architekturkonzepts. Trotzdem wirkt das Bauwerk geschlossen und einheitlich. Ein "organischer Gesamtzusammenhang der verschiedenen Funktionen", urteilt die Denkmäler-Topographie des Kreises Trier-Saarburg. Mittelpunkt und zugleich Verbindung zwischen den beiden größten Gebäudeteilen ist ein Wandelgang mit einer auch jetzt noch ansehnlichen Holzkonstruktion. Dahinter verbirgt sich die ehemalige Eingangshalle. Wie das gesamte Gebäude strahlt dieser Teil etwas Volkstümlich-Bäuerliches aus. Diese stilistische Orientierung wird noch unterstrichen durch Zier-Fachwerk an einigen Giebeln. Übrigens nimmt die Architektur keinerlei Bezug auf Bauweisen in der Region. Auch Karthaus ist ein Gebäude ohne Zukunft. Ideen zur Nutzung als Jugend-Gästehaus konnten bisher nicht umgesetzt werden. So bleibt Karthaus akut bedroht. Der Konzer Bürgermeister Winfried Manns mit resignierendem Unterton: "In wenigen Jahren ist dieser Bahnhof ein Fall für die Spitzhacke". Immerhin, feststehen dürfte, dass zwei Nebengebäude ins Freilichtmuseum Roscheid verlegt werden und dort für Besichtigungen zur Verfügung stehen - sorgfältig restauriert, versteht sich. Hinweis für Radtouristen: Vom Mosel-Radweg ist der Bahnhof Karthaus nach Überquerung der Brunostraße rasch zu erreichen.

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