Ein Fest der Orchesterkultur

Das Interesse war so groß, dass die New Yorker Philharmoniker in der Luxemburger Philharmonie gleich zwei ausverkaufte Konzerte gaben. Das zweite Konzert mit Brahms, Ravel und Strawinsky entwickelte sich zum orchestralen Sinnenfest.

 Der Meister in Luxemburg: Lorin Maazel. Foto: Philharmonie

Der Meister in Luxemburg: Lorin Maazel. Foto: Philharmonie

Luxemburg. Wie reich! Wie satt! Wie üppig! Dem heiklen Beginn von Brahms Erster nehmen die New Yorker Philharmoniker alle angestrengten, akademischen Beiklänge. Streicher und Holzbläser entfalten zu den düsteren Schlägen der Pauke unverspannte, füllige Ausdruckskraft. Und auch der Allegroteil des ersten Satzes, den Dirigent Lorin Maazel eher verhalten angeht, entwickelt sich zu reinem Hörvergnügen. Maazel und seine New Yorker malen in der Luxemburger Philharmonie mit breitem Pinsel eine opulente Schicksalssinfonie, kultivieren eine klassizistische Üppigkeit, die der Komposition alles Spröde nimmt. Mit dem Abweisenden dieser Musik geht freilich auch unter, was Brahms so schwierig und so einzigartig zugleich macht: Die kammermusikalische Intimität in den beiden Mittelsätzen, die hymnische Euphorie der Ecksätze, die an Haydn anknüpfende, gelassene Ausklang-Stimmung zu Beginn des Finales, auch der Ausdruck romantischer Sehnsucht - kurz: der literarische, musikalische, vielleicht auch philosophische Hintergrund dieser Sinfonie.Aber die große Stunde von Orchester und Dirigent schlug ohnehin nach der Pause bei Ravels "Rhapsodie espagnole", schlug vor allem bei der "Feuervogel-Suite" von Igor Strawinsky. Imponierend, zu welcher akustischen Filigranarbeit dieser große Klangkörper fähig ist! Maazel und seine New Yorker pinseln die Farbnunancen, die zahllosen Klangkombinationen der "Rhapsodie" minuziös aus. Mit äußerster Präzision entfalten die New Yorker Ravels Orchestersatz. Hörner und Holzbläser brillieren in den Soli, und der Konzertmeister formiert mit dem Solo-Cellist und, an anderer Stelle, der Stimmführerin der zweiten Geigen ein perfektes Duo. Lorin Maazels auswendiges Dirigat führt Orchester und Hörer mit einer geradezu magischen Stringenz durch die Partitur. Bei anderen Interpreten mag diese Komposition spontaner, rhythmusbetonter wirken, aber wohl kaum geschlossener und üppiger zugleich.Traumhafte Gratwanderung zwischen Klischee und Kühle

Und doch klang in Strawinskys "Feuervogel-Suite" noch eine neue Dimension an. Über alle Perfektion, allen Farbenglanz hinaus - Lorin Maazel und die New Yorker gaben dieser Komposition ihren ganz eigenen Tonfall mit. Es war nicht nur das Exotische und Geheimnisvolle des Beginns, nicht nur die explosive Härte des Katschei-Höllentanzes, nicht nur das wuchtige und doch nie massiv klingende Finale. Es leuchtete auf, was Strawinsky so einzigartig macht: die gläserne Idylle, die Holzbläser und Streichersolisten im zweiten Satz zeichnen, die unklischierte Innigkeit, die das Wiegenlied des vierten Satzes atmet. Traumhaft sicher balancieren Maazel und sein Orchester auf dem schmalen Grat zwischen romantischen Klischees und neoklassizistischer Kühle. Die Musik bezieht Distanz zum Hörer und gewinnt daraus ganz neue Ausdrucksmittel. Überschäumender Jubel im Publikum.

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