Ein tödlicher Kick

Premiere für "Der Kick": Nach der ersten Aufführung vor jungem Publikum im Humboldt-Gymnasium geht das Theater Trier mit einem Schauspiel zum Thema "Gewalt" auf Tour durch die Schulen der Region.

 Spielen im neuen Jugendstück des Trierer Theaters „Der Kick“ (von links): Hans-Peter Leu, Tim Olrik Stöneberg, Manfred-Paul Hänig, Sabine Brandauer. Foto: Theater Trier

Spielen im neuen Jugendstück des Trierer Theaters „Der Kick“ (von links): Hans-Peter Leu, Tim Olrik Stöneberg, Manfred-Paul Hänig, Sabine Brandauer. Foto: Theater Trier

Trier. (DiL) Das Verbrechen in dem kleinen brandenburgischen Dorf Potzlow erregte 2002 bundesweit Aufsehen: Drei junge Männer aus dem Umfeld der rechten Szene töteten einen 16-Jährigen nach stundenlanger Quälerei, indem er seinen Kopf auf einen Bordstein legen musste und einer der Täter mit Springerstiefeln darauf sprang - die Mord-Methode war der Eröffnungs-Sequenz eines amerikanischen Films nachempfunden. Das Opfer war sprachbehindert und im Stil der HipHop-Szene gekleidet - es hatte nichts getan, um die Mörder zu provozieren.

Die Autoren Andreas Veiel und Gesine Schmidt haben mit Tätern, Zeugen, Angehörigen und Menschen aus dem Dorf gesprochen. Die Protokolle sowie Aussagen aus Justizverfahren liegen dem Theaterstück "Der Kick" zugrunde. Im Original spielen zwei Personen alle 15 Figuren, in Trier macht man daraus eine Groß-Aufführung, die hinsichtlich der statischen Anordnung und der holzschnittartigen Figuren stark an die nachmittäglichen Talk- und Gerichtsshows privater Fernsehsender erinnert.

Da sitzen zwei Täter, die - jedenfalls nach den Empfindungen, die die Schüler in den anschließenden Diskussion äußern - eigentlich auch eher Opfer sind. Ihre Eltern sind arbeits- und perspektivlos. Die Mutter des Opfers, geistig schlicht, fühlt sich von allen alleingelassen. Die tumben Dörfler wollen nichts gesehen haben, der Bürgermeister wiegelt ab, der Pfarrer ist betroffen, die Justiz urteilt über Lebenswelten, die sie nicht einmal ansatzweise versteht. Das ist alles O-Ton, ohne Frage. Und kommt doch über den Status von Klischees kaum hinaus. Nicht alles, was authentisch ist, ist schon wirkungsvolles Theater.

Die 150 HGT-Schüler aus den neunten und zehnten Klassen folgen der einstündigen Aufführung in der Aula aufmerksam. Die Autoren ersparen ihnen nichts, und die (verbale) Schilderung der grausamen Tötung hinterlässt sichtlich Betroffenheit. Der Beifall ist sehr knapp, die Diskussion kommt nur mühsam in Gang - die Aula ist doch recht groß. Die wenigen, die sich melden, finden das Stück gut. Andere wollen wissen, wie sich die Schauspieler, die alle noch geblieben sind und vorne an der Rampe sitzen, in ihren Rollen fühlen.

Dramaturgin Sylvia Martin fragt nach Schuld. Der Haupttäter? Eigentlich nur Mitläufer seines Bruders, finden die Schüler. Und der wiederum war selbst mal Gewaltopfer. Ein bisschen sind "die Eltern" schuld, ein bisschen "das Dorf", schließlich "die Gesellschaft". Am Ende sind irgendwie alle ein bisschen schuld, und damit eigentlich keiner. So kann's gehen bei einem Stück, das auf "Moral" bewusst verzichtet. Was man hätte tun können, um das Verbrechen zu verhindern, fragt die Dramaturgin. Schüler-Antwort: Allen eine bessere Lebensperspektive vermitteln, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen. Politisch sehr korrekt. Aber doch auch ein bisschen flach angesichts des entsetzlichen Verbrechens, das hier verhandelt wurde. Der Haupttäter ist übrigens schon seit dem vergangenen Jahr wieder auf freiem Fuß - wegen guter Führung und positiver Sozialprognose vorzeitig entlassen. Vielleicht hätte man die Diskussion mit dieser Information eröffnen sollen.

"Der Kick". Regie: Gerhard Weber. Darsteller: Sabine Brandauer, Angelika Schmid, Susanne Strach, Manfred-Paul Hänig, Hans-Peter Leu, Klaus-Michael Nix, Alexander Ourth, Peter Singer. Tim Olrik Stöneberg. Infos zu Schul-Gastpielen: 0651/7182464.

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