Eine Brücke über 230 Jahre Musikgeschichte

Nicht der Künstler, sondern die Kunst, nicht der Musiker, sondern die Musik stand im Mittelpunkt des Klavierrecitals, mit dem in Wittlich die Konzertsaison eröffnet wurde. Zu Gast war mit Bernd Glemser ein Pianist, der von sich selber sagt, dass es ihm nur um die Essenz der Musik, nicht aber um seine Person geht.

 Bernd Glemser. TV-Foto: Gerhard W. Kluth

Bernd Glemser. TV-Foto: Gerhard W. Kluth

Wittlich. Mit einem Klavierabend eröffnete der Musikkreis Stadt Wittlich die neue Saison, die in dieser Spielzeit insgesamt sieben Konzerte umfassen wird. Im Vergleich zu den Vorjahren muss man fast schon sagen "nur" sieben Konzerte. Auch in Wittlich muss man rechnen, muss man mit einem Etat auskommen. Die Prämisse des neuen Spielplans zeigt deutlich auf, dass die Verantwortlichen trotz der finanziellen Beschränkungen nicht auf Qualität verzichten wollten und dokumentierten dies gleich vom ersten Abend an. Verpflichtet hatten sie den Pianisten Bernd Glemser, über den man lesen kann, er sammle Wettbewerbspreise wie andere Sport-Trophäen. Und doch zählt dieser Pianist von der schwäbischen Alb, der noch während seines Studiums schon zum Professor ernannt wurde, zu den Geheimtipps.Vielleicht liegt es an der wenig prätentiösen Art, wie Glemser sich auf der Bühne präsentiert. Er ist nicht der große Tastenlöwe, der erst einmal den Applaus genießen will, bevor es dann zur eigentlichen Sache kommt. Eine kurze Verbeugung als Gruß an das Publikum, und schon saß er in der Wittlicher Synagoge am Flügel. Was man dann dort aber erleben konnte, ließ aufhorchen, ließ staunen, ließ still werden. Glemser interpretierte, so war es auch auf den Plakaten zu lesen, Kompositionen von Johann Sebastian Bach, Dimitri Schostakowitsch, Frédérik Chopin und Sergej Rachmaninow. Glemser ließ Einblicke in sein Innerstes zu, öffnete sich dem Publikum, offenbarte, wie er ganz persönlich etwa Bachs Präludium und Fuge gis-Moll, BWV 887, aus dem Wohltemperierten Klavier (WK) empfand. Emotionale Farbspiele zauberte er in den Raum, ließ die kontrapunktische Dichte wirken, ohne ihr einen künstlichen intellektuellen Überbau zu verpassen.Schostakowitschs Pendant zum WK ist das Opus 87, von dem Glemser die Nummer 4 in e-Moll und die Nummer 17 in As-Dur ausgewählt hatte. Gerade noch in der barocken Klangwelt Bachs, war es überhaupt kein Problem, in die herbe Klangsprache von 1950/51 zu wechseln. Glemser nahm sein Publikum mit, erläuterte allein durch sein Spiel die Zusammenhänge zwischen den beiden Komponisten. Mit Leichtigkeit bildete der Pianist für sein Publikum eine Brücke über 230 Jahre Musikgeschichte. Im zweiten Teil des Abends widmete er sich den Nocturnes von Chopin (Opus 27 Nr. 2 und 13) und den La Follia Variationen, Opus 42, von Rachmaninow. Was Glemser hier zu bieten hatte, war schlicht grandios. Waghalsige aber absolut sichere Virtuosität war ebenso zu erleben wie eine Anschlagskultur, die nur noch verblüffen konnte. Der Flügel in der Wittlicher Synagoge ist wohl kein Spitzeninstrument. Glemser aber entlockte ihm Klangfacetten, die man hier noch nie gehört hatte. Es war nur all zu verständlich, dass die Zuhörer den Künstler erst nach drei Zugaben entließen.

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