Engelsgesänge auf 48 Saiten

LUXEMBURG. Dass Cellisten so kultiviert und vielfältig musizieren können! Die zwölf Musiker der Berliner Philharmoniker lieferten in der voll besetzten Luxemburger Philharmonie eine intelligente Demonstration vollendeter Interpretationskunst.

Volles Haus. Um auch noch den letzten Sitzplatz auszunutzen, hatte die Intendanz der Luxemburger Philharmonie die Chortribüne hinter dem Podium aufgebaut. Von dort, aus dem Parkett und von den acht seitlichen Türmen verströmte sich die Vorfreude auf die zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker, hinter den Aposteln zweifellos die berühmteste Zwölfergruppe der Welt. Und als dann die Dame und die elf Herren aufs Podium eilten und ihre Instrumente stimmten, die irgendwie an surreale Kleiderständer erinnern, dann zu Astor Piazzollas "Milonga del Angel" der betörend schöne erste Akkord erklang, da löste sich die Erwartungsspannung im Saal auf in einen Mix aus Aufmerksamkeit und schierer Begeisterung. Keine Frage, die zwölf Cellisten sind wirklich so legendär wie ihr Ruf. Homogenität, Intonationsreinheit, Klangkultur und ähnliche Grundtugenden: geschenkt! Die zwölf aus Berlin können mehr.Brillant und unverkrampft

So subtil, wie sie die brillanten Arrangements musizieren, erobert Musik neue Dimensionen. Das feingliedrige Klanggewebe in Debussys Klavierstück "La Cathédrale engloutie" war solch eine neue Hör-Erfahrung, die arienhafte Klangfülle in Piazzollas Milonga, die trotz aller Melodienseligkeit den Rhythmus des Tango-Vorläufer durchlässt, eine andere. Wo die Oberstimme im Doppelquartett "Denn er hat seinen Engeln" aus Mendelssohns "Elias" Sopran-Höhen erreicht und für manche Cellisten die Region der unfreiwilligen Komik beginnt, kultivieren die Berliner eine völlig unverkrampfte Klang-Helligkeit - Gesang mit Saiten und Bogen. Und Verdis berühmt-berüchtigtes "Ave Maria", in dem schon so mancher Chor auf der Strecke blieb - die zwölf spielen es makellos und dabei verhalten-fromm, ein Mariengebet für Streicher. Noch im Pianissimo bleiben sie sonor und standfest. "Angel Dances" hatten sie den ersten Teil des Konzerts genannt. So männlich-ausdrucksvoll sind die himmlischen Wesen selten ins Erdental geflattert. Die Filmmusik-Klassiker nach der Pause entwickelten sich zur Lehrstunde exzellenter Popularmusik-Interpretation. Wer "Tea for Two", "As Time Goes by", Nino Rotas "La Strada" so spielt, wertet sie auf, weit über den ursprünglichen Anlass hinaus. Ob Elvis Presley jemals dem "Love Me Tender" so viel Zärtlichkeit mitgegeben hat wie diese an Beethoven und Brahms, Verdi und Wagner geschulten Musiker? Dabei spielen sie mit dem nötigen Schwung, aber gradlinig und völlig frei von Schleifern, forciertem Vibrato und seifigem Pseudo-Ausdruck. 120 Minuten reines Hörvergnügen, Jubel wie im Pop-Konzert und ein Reigen origineller Zugaben.

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