Experiment auf der Kippe

TRIER. Vor einem Jahr beschloss der Trierer Stadtrat, die Geschicke der Stadtentwicklung einem hochkarätig besetzten "Beirat für Architektur und Städtebau" in die Hände zu legen. Dieser Tage zog man in einer gemeinsamen Sitzung von Beirat und Kommunalpolitikern Bilanz. Sie ließ mehr Fragen offen, als sie beantwortete.

Fulminant war der Beirat Mitte letzten Jahres gestartet: Gleich in der ersten Sitzung pulverisierten die Experten das größte stadtplanerische Projekt in Trier, das geplante Paulinus-Einkaufscenter in der Innenstadt. Mit der geballten Kompetenz und Autorität eines Gremiums, dem international renommierte Fachleute angehören, zogen die Beiratsmitglieder ein Stopp-Schild hoch, wie es größer und deutlicher nicht hätte sein können. Die Center-Gegner im Stadtrat jubilierten, die Befürworter hielten einen Moment den Atem an - und hofften vielleicht auf einen Kompromiss analog der Verbesserungsvorschläge, die der Beirat unterbreitet hatte. Aber der anfängliche Schwung schwand schnell, nicht zuletzt, weil sich der Beirat durch rüde Abkanzeleien bei kleineren Bauprojekten unnötig Feinde schaffte. "Wir mussten uns etwas justieren", räumte Kunibert Wachten, Professor für Städtebau in Aachen, diese Woche in einer Sitzung des zuständigen städtischen Ausschusses selbstkritisch ein. Man habe sich "zu sehr mit Marginalien aufgehalten, während uns große Sachen durch die Lappen gegangen sind". Auch die anfangs nachhaltig propagierte Öffentlichkeit der Arbeit des Beirats ließ mächtig nach. Beraten wurde fast nur noch intern. Kulminierte Sprachlosigkeit

Dabei sei "Baukultur immer eine Frage der Öffentlichkeit", merkte Wachten an und gelobte Besserung. Auch im Umgang zwischen Beirat und Stadtrat habe es bisweilen eine "gefährliche Sprachlosigkeit" gegeben, konstatierte Architekt Peter Kulka, einst in Regensburg ein "Pionier" in Sachen Architekturbeirat. Die Sprachlosigkeit kulminierte, als eine breite Stadtratsmehrheit das Beirats-Votum in Sachen Paulinus-Center ignorierte - und zwar in einer Art und Weise, die den Verdacht nahe legte, man habe sich nicht gerade intensiv damit auseinander gesetzt. Die kompromisslose Beton-Linie des Bauherrn wurde vom Rat abgesegnet. Fast flehentlich bemühten sich die Beiratsmitglieder in der "Bilanz-Sitzung", den Stadträten deutlich zu machen, wie sinnlos ihre Arbeit wird, wenn der Stadtrat ihren Einschätzungen nicht vertraut. Den Paulinuscenter-Planern beispielweise sei "völlig wurscht" gewesen, was der Beirat sage, "weil die wussten, dass sie politische Unterstützung haben", schimpfte der Luxemburger Star-Architekt Francois Valentiny. "Wie sollen Investoren das Gremium akzeptieren, wenn der Rat es nicht tut?", fragte Kunibert Wachten. Ob die Botschaft angekommen ist, darf freilich bezweifelt werden. "Was Architekten vorschlagen, ist halt ein Stück Kunst, das einem gefällt oder nicht", sagte ein Vertreter der Bürgerliste UBM unter beifälligem Nicken der CDU. "Sie haben ihre Meinung, wir haben unsere, das ist doch normal", so formulierte es CDU-Sprecher Gilbert Felten. Das ist der Kern des Trierer Missverständnisses. Während es der Architekturbeirat als seine Aufgabe begreift, auf der Basis ganzheitlicher Betrachtung entscheidende Signale für die Stadtentwicklung zu setzen, hält ihn die Ratsmehrheit für ein unterhaltsames Gremium, das aus Profi-Sicht ein paar originelle Vorschläge unterbreitet, die man nach Gusto mal annehmen kann, mal nicht. Auf dieser Basis wird sich kaum eine dauerhaft funktionierende Zusammenarbeit entwickeln, schon deshalb nicht, weil ein derart leicht gewichtig gehaltener Beirat im Konfliktfall gegenüber jedem einflussreichen Bauherrn auf verlorenem Posten steht. Das wäre ausgesprochen schade, zeichnet sich doch mit dem Beiratsvotum in Sachen Stadion und mit der längerfristigen Einbindung in die Stadtentwicklung ab, wie wertvoll das Gremium werden könnte - wenn man ihm, jenseits der reichlich verteilten verbalen Nettigkeiten, eine ernsthafte Chance gibt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort