Geschichten voller Ginflaschen

Eine Wiederentdeckung: Francis Scott Fitzgerald wurde berühmt mit "Der große Gatsby", unbekannte Kurzgeschichten werfen ein neues Licht auf den Chronisten des "Jazz Age".

In Woody Allens Film "Midnight in Paris" taucht er noch einmal aus dem Reich der Toten auf und ein in das Nachtleben jener Stadt, die für Ernest Hemingway - der in diesem Film ebenfalls eine ebenso wunderbare wie urkomische Reinkarnation erlebt - ein "Fest fürs Leben" war. Francis Scott Fitzgerald, der Darling der amerikanischen Nachkriegs-Highsociety, in Personalunion Mitglied und kritischer Beschreiber eben dieser Gesellschaft, gehörte zu den erfolgreichsten (und bestbezahlten) Schriftstellern der Zwanziger Jahre.
Zusammen mit seiner Frau Zelda waren sie begehrte Gäste, die jeder Party Glanz verliehen - nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Vor allem in Frankreich verbrachte das Ehepaar viel Zeit, nicht zuletzt auch deswegen, weil Fitzgerald in der französischen Hauptstadt leichter an Alkohol kam, dem er seit frühester Jugend im Übermaß zusprach (im Amerika der Prohibition war es noch teurer und riskanter, sich einen Vollrausch anzutrinken).

Ein paar Jahre lang schwammen Zelda und F. Scott in dem Geld, das der Gatte mit scheinbar mühelos dahingeschriebenen Kurzgeschichten verdiente. 4000 Dollar zahlte ihm die Saturday Evening Post ab 1929 für eine Short Story; das wären heute etwa 55 000 Dollar.

Als diese Quelle zu versiegen drohte, weil Fitzgerald keine Lust mehr auf die immer gleichen Themen hatte (siehe unsere Literaturkolumne "Aufgeschlagen"), lockte ihn Hollywood mit bestens dotierten Verträgen.
Bereits 1919 hatte er in einem Brief einen Freund gefragt "Lässt sich mit Drehbüchern Geld verdienen?" Immer wieder reiste er an die Westküste, mal für einige Wochen, mal für einige Monate, um Geschichten umzuarbeiten oder eigene Storys zu Filmdrehbüchern umzuarbeiten. Mit dem Ergebnis war er nie zufrieden. Immerhin 1000 Dollar bekam er pro Woche von Metro-Goldwyn-Meyer - zu einer Zeit, in der das durchschnittliche Jahresgehalt eines Amerikaners bei gerade etwas über dieser Summe lag. Für ihn muss es eher Schmerzensgeld als Honorar gewesen sein. "Es tut mir leid, dass Deine Arbeit langweilig ist", schrieb ihm seine Frau Zelda 1931, als er wieder für ein paar Monate nach Hollywood gezogen war. "Ich hatte gehofft, Du würdest aufregende neue Facetten kennenlernen, die Dich für die Lästigkeit des Ganzen entschädigen … Komm nach Hause, Liebling. Wenigstens hast Du danach Hollywood für immer hinter Dir. Ich würde nicht dort bleiben und weiter Zeit mit etwas verschwenden, das unweigerlich auf Mittelmaß und unnütze Mühen hinauszulaufen scheint." So rauschhaft sein Leben und das seiner Frau Zelda in den 1920er Jahren gewesen war, so brutal war der Absturz Mitte der 1930er. Seit 1930 kriselte es in der Ehe; berufliche Erfolge wurden seltener, und den schriftstellerischen Versuchen seiner Frau stand Fitzgerald ablehnend gegenüber, da er befürchtete, sie könne ihn verlassen, wenn sie finanziell unabhängig würde.
Eine grundlose Sorge, denn an den Ruhm ihres Mannes reichte sie nicht heran; ihr autobiographischer Roman "Save me the Waltz" (etwa: Reserviere den Walzer für mich) blieb 1932 erfolglos. Bereits ein Jahr zuvor hatte sie ihren ersten Zusammenbruch; von da an verbrachte sie bis zum Ende ihres Lebens - sie starb 1948 - immer mehr Zeit in Nervenheilanstalten. "Bei uns sieht's ziemlich übel aus", schrieb Fitzgerald 1934 an eine Cousine. Die Situation war so desolat, dass er 1936 einen Selbstmordversuch unternahm.

Im selben Jahr notierte der Kolumnist O. O. McIntyre in "New York Day by Day": "F. Scott Fitzgerald, der nun schon grau wird und zulegt, gilt heute als sehr schwieriger Autor … Er ist das literarische Symbol einer Ära, und noch immer wünscht man sich von ihm Geschichten voller Ginflaschen und distinguierter Studenten, die bei mitternächtlichen Spritztouren ihren Begleiterinnen voran durch die Windschutzscheibe segeln … Doch Fitzgerald ist älter und ernsthafter geworden. Man nennt es: reifer. Er will auch reifer schreiben. Und wenn man ihm das nicht zugesteht, lässt er es eben ganz bleiben. Und wir haben den Salat."

Man kann seine Worte als verfrühten Nachruf auf F. Scott Fitzgerald betrachten, veröffentlicht vier Jahre vor dem Tod des Schriftstellers - am 21. 12. 1940 in dem von ihm so verhassten Hollywood.

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