Hallodri von der Toteninsel

MERSCH. Vor einem halben Jahrhundert starb derLuxemburger Autor Norbert Jacques. Rund 60 Bücher hat er veröffentlicht; die meisten sind vergessen. Doch eine Figur sichert ihm Nachruhm: "Dr. Mabuse".

Die Zeitungsredakteure spitzten die Bleistifte und stachen lustvoll zu: Ein erbärmliches Subjekt sei er, ein Nestbeschmutzer, ein Mann voller Obsessionen und verquerer Fantasien. So der Tenor zwischen 1917 und 1945. Der dermaßen Gescholtene hatte sich in doppelter Hinsicht angreifbar gemacht: Nicht nur sprach er von seiner Heimat als "Toteninsel Luxemburg", der er 1908 den Rücken kehrte. Er düpierte seine Landsleute auch, als er sich im Ersten Weltkrieg für die Deutschen als eine Art Spion anwerben und, schlimmer noch, zwanzig Jahre später von den verhassten Nazis instrumentalisieren ließ und in ihrem Auftrag mit Lesungen durchs "Ländchen" reiste. Norbert Jacques - ein Opportunist, der jedes Lied sang, zu dem ihm die Noten gereicht wurden? Oder einer, der sich mit den Mächtigen gemein machte, um sie "von innen heraus" zu bekämpfen, wie er sich einmal verteidigte? Fest steht, dass er "eine bis heute umstrittene Gestalt ist", so Germaine Goetzinger in ihrem Eröffnungsvortrag zur Ausstellung, die in Zusammenbarbeit mit der Universität in Saarbrücken entstand und dort bereits zu sehen war. Die Leiterin des "Centre national de littérature" in Mersch bekam die Widersprüchlichkeiten in der Biografie des Schriftstellers auch fünfzig Jahre nach dessen Tod zu spüren: Noch ehe die erste Vitrine eingeräumt war, wurde in einigen Luxemburger Zeitungen und Zeitschriften bereits gegen die Schau gewettert. Norbert Jacques war ein lebenslustiger Hallodri - barock nicht nur in seiner Genussfreudigkeit, sondern auch in seiner Sprache, die neben treffsicheren Beschreibungen von Freunden und Kollegen (über Rilke in Uniform notierte er, er sehe aus "wie ein Stoßgebet zum Himmel"; über die Eitelkeit von Schauspielern: "Man saß am Weihwasserkessel und segnete sich") die Lust am schnörkelreichen, mitunter bombastischen Stil verrät. Mit Autoritäten lag er stets über Kreuz. Deshalb die zahlreichen Schulwechsel, die in einem Internat endeten, wo er prompt eine Affäre mit der Frau des Direktors anfing. Eine Weile hatte er sich mit Gedanken getragen, Advokat zu werden, aber für das staubige Amtsstuben-Dasein war er nicht geschaffen. Weltreisen wurden seine Passion, zu denen er von Deutschland aus aufbrach, wo er sich "ein wenig vertrotzt gegen Luxemburg" niederließ. Von seinen Reisen kündet auch eines der Prachtstücke der Ausstellung, das Afrikanische Fotoalbum, das mit dem afrikanischen Tagebuch, zur medialen Einheit vernetzt, am Computerbildschirm betrachtet werden kann. Jacques‘ schriftstellerischer Ausstoß war bemerkenswert. Neben seinen Büchern verfasste er Tausende von Essays, Kritiken, Kommentare. Waren die Urteile von Kollegen zunächst freundlich - Arthur Schnitzler urteilte über seinen fünften Roman 1911: "Las ,Heiße Städte‘ von Jacques. Begabt." - wurden derlei Bemerkungen seltener, als er er 1921 den Roman veröffentlichte, der seinen Namen bis heute im Gedächtnis hält: "Dr. Mabuse, der Spieler". Diesem Buch, dem der Ruf der Trivialität anhaftete, und den Filmen - der erste von Fritz Lang 1922, dem bis in die 1960er Jahre acht weitere folgten - ist in Mersch ein eigener Raum gewidmet mit Plakaten, Buchausgaben und Comic-Versionen der Story, in der Jacques die schrille Atmosphäre der zynischen und triebhaften Zwanziger Jahre in Berlin wie in einem Brennglas bündelte. Jacques‘ dunkle Jahre dokumentiert im letzten Raum ein Brief seiner Tochter Aurikel, mit der sie dem Vater einen Persilschein ausstellt: Er habe trotz Vereinnahmung durch die Nazis "die ganzen Jahre über eine antinazistische Haltung gezeigt". Ihr Plädoyer hat nichts gefruchtet: In derselben Vitrine liegt das Schreiben des Justizministers, der Jacques am 8. Juli 1946 mitteilt, er habe das Land unverzüglich zu verlassen. Bis zu seinem Tod am 15. Mai 1954 lebte er in Deutschland. "Mit Lust gelebt" heißt, dem Titel seiner Lebenserinnerungen entlehnt, die Schau. Ob sie der Popularität des Dichters einen Aufschwung beschert, ist eher zweifelhaft. Zu sehr in der Zeit verhaftet sind seine Schriften - interessant als historische Dokumente, von geringem Nutzen für die Nachgeborenen. Norbert Jacques wird eine Fußnote in der Zeit- und Literaturgeschichte bleiben. Man wird sich an ihn erinnern als den Schöpfer des dämonischen Spielers aus Berlin - eine prophetische Blaupause für die Ereignisse ab 1933. Immerhin. Bis 18. Dezember; am 28. November um 20 Uhr zeigt die Luxemburger Cinémathèque Fritz Langs Stummfilm "Dr. Mabuse, der Spieler" mit Live-Klavierbegleitung. Infos: 00352/3269551; im Internet: www.literaturarchiv.lu.

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