Hoch geschraubt

TRIER. Zur Saisoneröffnung im Musiktheater ein Wagner-Klassiker: Mit dem "Fliegenden Holländer" lockt das Theater die Opernfans. Ein Kraftakt für ein kleines Haus.

Vielleicht fängt der Abend einfach zu gut an. Das Orchester stürzt sich in die stürmischen Fluten, als gehe es um Leben und Tod. Das ist kein starker Wellengang, das ist ein Orkan, den Dirigent István Dénes mit seinen Philharmonikern entfacht. Tempo, Präzision, Emotion: Da stimmt alles. Dénes schärft die Kontraste, gibt zunächst Gas, um die tückische Ruhe zwischen den Stürmen umso getragener auszumusizieren. Kraftvoll treiben die Bläser, filigran schrauben sich die Streicher in Wagners schwindelnde Höhen. Ein Genuss, wie die gesamte Orchester-Leistung an diesem Abend. Und dann der Auftritt des Holländers, ein echter "coup de théâtre". Langsam richtet sich eine meterhohe, wuchtige Schiffsschraube hoch. An einem ihrer Flügel wird langsam ein Mann sichtbar, wie eine Muschel verwachsen mit dem grün bewuchterten Monstrum. Packender kann man das elende Schicksal des verfluchten Kapitäns, der für ewig auf dem Meer herumirren muss, kaum ins Bild setzen. Detlef Beaujeans Bühnenbild, Angela Schuetts Kostüme und Hans Ortheils Beleuchtung liefern auch für den Rest des Abends starke Bilder. Aber dann: Statt den Anfangs-Schwung zu nutzen, geht der Spannungsbogen zeitweilig verloren. Von Personenführung ist wenig zu spüren, dazu kommt, dass man kaum ein Wort versteht. Das mag bei Verdi gehen, aber Wagner ist Wort. Der spannende Dialog des Holländers mit dem Seefahrer Daland, der dem mysteriösen, aber reichen Fremden seine Tochter verscherbelt, geht am Publikum völlig vorbei, weil man bei Juri Zinovenkos Daland nur minimale Sprachfetzen identifizieren kann. Laszlo Lukacs als Holländer artikuliert genauer, wirkt imposant in seiner Rolle, aber zum Wagner-Sänger fehlen ihm das Volumen und die Tiefe. Er kling gut in der oberen Mittellage, aber das reicht nicht. Gor Arsenian kann aus stimmlicher Fülle schöpfen, aber er schmachtet, als sei er nicht Wagners Jäger Erik, sondern der Fischer Enrico aus einer italienischen Verismo-Oper. Und Peter Koppelmann, ein Vorbild an Präsenz und Aussprache, markiert leider die Höhen, weil seine Stimme nicht dahin reicht, wo Wagner die Noten gesetzt hat. Das ist das Problem: Einen Wagner zu produzieren, wenn man nur eine einzige Wagner-Sängerin im Ensemble hat. An Vera Wenkert hängt denn auch eine hohe Last. Ihre Senta ist die Figur, die Regisseur Matthias Kaiser als einzige ausgeformt hat. Ein junges Mädchen, schwärmerisch, aber von bedingungsloser Konsequenz. Es ist gar nicht der Holländer, den sie durch ihren Tod erlösen will, es könnte auch jeder andere sein. Er ist nur eine Projektionsfläche ihrer Wünsche und Träume. Vera Wenkert entwickelt sich konsequent weiter. Das gilt nicht nur für die prägnante, überzeugende Rollengestaltung, die auch einige Albernheiten der Regie überspielt. Sie traut sich, wunderschöne Piani zu singen, hat gelernt, kontrolliert mit ihrer stimmlichen Kraft umzugehen. Und doch wirkt es an diesem Abend, als sei die Handbremse leicht angezogen. Im Dezember, wenn Franz Grundheber ihr Partner ist, wird sie sicher näher an ihre Grenzen gehen. Die Grenzen nach oben loten diesmal Chor und Extra-Chor aus. Die Truppe von Norbert Schmitz singt genau, kraftvoll, dynamisch. Der "Weckruf" für die Mannschaft des Gespensterschiffs ist der Höhepunkt des Abends, ein echter Gänsehaut-Moment. Da stimmt nicht nur der Chorgesang, da sitzt auch die Choreographie auf den Punkt.Allerlei Leerlauf auf der Bühne

Nicht mit allem hat Regisseur Matthias Kaiser ein solch glückliches Händchen. Da ist allerlei Leerlauf auf der Bühne, und wenn etwas passiert, erschließt sich der Sinn nicht immer. Man ahnt ja, was Kaiser sagen will mit seinen Menetekeln, mit Eriks Braunhemd, der Spinnstube als BDM-Waschsalon (respektabel: Eva-Maria Günschmann als Mary), dem stilisierten Göring-Porträt, der Verwandlung der Schiffsschraube in eine Art Hakenkreuz-Fahne, wenn Senta von "Treue bis in den Tod" singt: Ja, das kann übel enden mit dieser ganzen Erlösungs-Ideologie. Aber man vermisst den Zusammenhang mit dem Stück, oder zumindest eine logische Ableitung. Dafür liefert Kaiser tolle, stilisierte Bild-Momente. Licht und Schatten also bei diesem "Fliegenden Holländer". Der Vergleichsmaßstab kann sicher nicht Bayreuth sein, nicht einmal Saarbrücken. Aber er muss sich messen lassen an den Trierer Wagner-Opern der letzten Jahre: Lohengrin, Tristan, Tannhäuser. Und da fehlt diesmal ein Stück. Die Publikums-Reaktionen gehen über fein differenzierende Freundlichkeit denn auch nicht hinaus.

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