Hoffen, dass es sich verwächst

BERLIN. Das Stiftungskuratorium fällte gestern in einer Krisensitzung die Entscheidung: Degussa wird weiter am Mahnmal-Bau beteiligt. Die Gegner konnten sich nicht durchsetzen.

An der bebenden Stimme von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) merkte man, wie schwer die Entscheidung gewesen sein muss, wie viele Emotionen damit verbunden waren. "Wir haben uns entschieden, den Bau des Holocaust-Denkmals mit allen Firmen, die bisher Aufträge erhalten haben, fortzusetzen", so Thierse. Die Firma Degussa bleibt also beteiligt. Darauf einigte sich gestern Abend das Kuratorium der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Abgestimmt wurde nicht, aber das Meinungsbild sei am Ende der Sitzung eindeutig gewesen, so der Vorsitzende Thierse.Es wurde sehr hart gerungen

Tief gespalten hatte sich das 22-köpfige Gremium gestern vor der Krisensitzung gezeigt. "Ich hoffe, dass es ohne Verletzungen abgeht", meinte die Vize-Vorsitzende des Kuratoriums, Lea Rosh, die sich nach der Entschdung erleichtert und besorgt zugleich zeigte. Es sei wichtig, dass das Mahnmal gebaut werde, sagte Rosh und fügte hinzu: "Für mich ist die Vorstellung fürchterlich, dass jüdische Menschen und Nachkommen von Holocaust-Opfern nicht zu diesem Denkmal kommen. Ich hoffe, dass sich das verwächst."Es wurde sehr hart gerungen: Während sich beispielsweise die Vorsitzende des Bundestags-Kulturausschusses Monika Griefahn (SPD) und der CDU-Abgeordnete Günter Nooke für eine weitere Zusammenarbeit mit Degussa aussprachen, forderten die Gegner um Rosh, die Gefühle von Holocaust-Überlebenden und ihrer Nachfahren zu berücksichtigen.Vor drei Wochen war die Debatte um das Denkmal erneut entbrannt, nachdem das Stiftungskuratorium entschieden hatte, beim Bau des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas einen Degussa-Graffitischutz nicht mehr zu verwenden. Die Tochtergesellschaft des Chemieunternehmens, Degesch, hatte in der NS-Zeit das Gift Zyklon B zur Tötung von Juden und anderen Verfolgten produziert. Angehörige von Opfern hatten daraufhin erklärt, mit diesem Wissen könnten sie das Denkmalgelände nicht betreten. Der Bau wurde daher gestoppt.Kurze Zeit später wurde aufgedeckt, dass auch noch ein Betonverflüssiger einer anderen Degussa-Tochter verwendet worden war. "Ein bisschen Degussa geht nicht", meinte gestern während der Krisensitzung ein Teilnehmer. Die Entscheidung sei sehr schwierig gewesen, so Thierse. Aber schließlich handele es sich um ein Denkmal, "das die ganze deutsche Gesellschaft baut"."Salz auf Wunden" sei das, hatten die Kritiker vorab deutlich gemacht, während die Befürworter meinten, es gehe nicht anders, als mit belasteten Firmen zusammenzuarbeiten. Beide Seiten bescheinigten dem Unternehmen Degussa allerdings, seine Vergangenheit "vorbildlich" (Rosh) aufgearbeitet zu haben.Ein Ausschluss hätte die Kosten erhöht

Das vom amerikanischen Architekten Peter Eisenmann - der den Baustopp kürzlich harsch kritisiert hatte - entworfene Denkmal soll 60 Jahre nach Kriegsende am 8. Mai 2005 eröffnet werden. Zu dem vom Bund finanzierten Mahnmal aus 2700 Beton-stelen gehört ein unterirdischer Ort der Information. Die Baukosten werden auf rund 27 Millionen Euro veranschlagt. Gestern hieß es, dass sich die Kosten bei einem Ausschluss Degussas für den Graffitti-Schutz der Stelen laut einem internen Stiftungsgutachten um 2,34 Millionen Euro erhöht hätten. Thierse machte deutlich, dass derZeit- und Kostenrahmen vermutlich nicht mehr hätte eingehalten werden können, wenn man sich anders entschieden hätte.

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