"Ich geh‘ Bier holen"

(hen) Man muss nicht viel Ahnung von Hip Hop haben, um sich ein Bild von einem "typischen" Anhänger dieser Musikrichtung machen zu können. Hat er Haare auf dem Kopf, so hängen diese, wie mit einer Spaltaxt gezogen, links und rechts glatt runter, das Sweat-Shirt hat vierfache Übergröße, der Hosenbund ist irgendwo im unteren Kniebereich, und eine Hand hängt permanent im Schritt, während mit der anderen jedes seiner Worte gestenreich untermalt wird. So sieht er aus, der Rapper. "Bevor wir fallen, fall‘n wir lieber auf", wiederholt ein junger Mann eine Liedzeile aus dem Lied "MfG", während weiter vorne Menschen vor einer leeren Bühne nach Zugabe brüllen. Der Mann heißt Jens Bengert, wohnt bei Saarbrücken, hat lange Haare, und an der Hand, in der er einen leeren Bierbecher hält, prangt ein Ring, beinahe so groß wie eine Gürtelschnalle. Er trägt ein T-Shirt, auf dessen Rückseite die Tourdaten einer Band abgebildet sind, die mit deutschprachigem Hip Hop ebenso wenig gemeinsam hat wie der Saarländer mit dem Mann im Anzug, der wenige Meter von ihm entfernt breitbeinig da steht, während des Konzertes die Arme verschränkt hält und sich kaum bewegt. "Die sind schon geil", sagt Jens, und als sein Kumpel nach langer Abwesenheit mit vier Bechern voll Bier zurück kommt, ruft er ihm zu: "Fantastische Vier - Fantastisches Bier". Zum wiederholten Male zieht der Duft eines Joints durch die Menschenmenge. Der Mann im Anzug bleibt regungslos. Er habe die "Vier vor zig Jahren schon mal auf dem Ring gesehen", sagt Alain Weber aus Luxemburg, doch das könne man nicht vergleichen. Der Gast aus dem Nachbarland und seine Freundin rätseln darüber, was And.Ypsilon, der Vierte und einzige Nicht-Rapper der Fantastischen, "mit den beiden Schaumstoffknüppeln da macht". Dann das letzte Lied: "Der Tag am Meer". Erneuter Gras-Dunst zieht vorbei. Der Mann im Anzug ist verschwunden. Dann verschwinden auch die Musiker. Während vorne immer noch Hunderte "Zugabe" fordern, bewegt sich ein Großteil der Besucher in Richtung Ausgang. Jens ist verunsichert. "Was is‘n jetzt?" fragt sein Nachbar, "spielen die nochmal?" "Keine Ahnung", sagt der langhaarige Jens. "Ich geh mal Bier holen."

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