"Ich schaue mir jeden Schrott an"

HAMBURG. Vor zwei Jahren warf Roger Willemsen beim ZDF alles hin und wandte dem Fernsehen als Moderator den Rücken: Am Sonntag, 8. Februar, 10.15 Uhr kommt er zurück und moderiert die Sendung "Literaturclub" auf 3sat.

Er war genervt von der Verflachung des Fernsehens und dem Diktat der Einschaltquote, also nahm Roger Willemsen Ende 2001 seinen Hut: Der Moderator erklärte seinen Rückzug vom Fernsehen und löste damit ein großes Medienecho aus. Doch nun kehrt der 48-jährige Germanist auf die Mattscheibe zurück - mit einer anspruchsvollen Büchersendung, in der Boulevardthemen keinen Platz haben und der Quotendruck sich in Grenzen hält. Mehrmals im Jahr wird Roger Willemsen künftig als Nachfolger von Daniel Cohn-Bendit den in der Schweiz produzierten "Literaturclub" präsentieren. Das Debüt des erfolgreichen Buchautors ("Deutschlandreise") und blitzgescheiten Kulturkritikers ist am Sonntag auf 3sat zu sehen. In seiner neuen Sendung diskutiert Schnellsprecher Willemsen mit jeweils drei weiteren Experten über mehrere literarische Werke. In der ersten Ausgabe, die aufgezeichnet und bereits im Schweizer Fernsehen gezeigt wurde, geht es um eine Neuausgabe von Tolstois Klassiker "Anna Karenina", die Parabel "Reise nach Havanna" des kubanischen Autors Reinaldo Arenas, den Erzählungsband "Die Insel" von Alistair MacLeod und um "Ljod. Das Eis" des russischen Schriftstellers Vladimir Sorokin. "Ein grässliches Buch", urteilt Willemsen in der Sendung über Sorokins Trash-Roman und erinnert in diesem Moment kurz an Marcel Reich-Ranicki in der mittlerweile eingestellten Büchershow "Das Literarische Quartett". Mehr Gemeinsamkeiten gibt es jedoch nicht: Der "Literaturclub" ist ambitionierter als das "Literarische Quartett", die Sendung richtet sich in erster Linie an ein intellektuelles Publikum und verzichtet auf jedes unterhaltsame Beiwerk. Willemsen und seine Kritikerkollegen Gunhild Kübler, Andreas Isenschmid und Nadine Hostettler konzentrieren sich ganz auf die Bücher und bleiben meist betont sachlich. Der 1955 in Bonn geborene Willemsen startete seine Fernseh-Laufbahn 1991 mit der Interviewsendung "0137" auf Premiere. Später moderierte er die ZDF-Talkshow "Willemsens Woche", die Kultursendung "Aspekte" und weitere Sendungen. Für seine Arbeit erhielt er mehrere Auszeichnungen, darunter den renommierten Grimme-Preis. "Irgendwann ekelte ich mich vor mir selbst"

Ende 2001 hatte er jedoch die Nase voll vom Fernsehen. "Es ist irgendwann ein Gefühl des Selbstekels entstanden", so seine Begründung. Mit dem "Literaturclub" kehrt Roger Willemsen nun zurück, weil die Sendung ihm nach eigener Aussage die lang ersehnte Gelegenheit biete, sich im Fernsehen ernsthaft mit Kultur zu beschäftigen. Er selber habe beim Fernsehschauen stets Schuldgefühle, sagte Willemsen unlängst in einem Interview mit dem Publizisten Roger de Weck: "Ich denke, ich verschleudere mein Leben, indem ich in die Glotze gucke." Das hindere ihn aber nicht daran, sich "jeden Schrott" anzuschauen. Auch die RTL-Dschungelshow "Ich bin ein Star - holt mich hier raus" habe er sich nicht entgehen lassen, bekannte der Kulturkritiker.

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