Idylle mit Schönheitsfehlern

BITBURG-ERDORF. Noch vor 30 Jahren war dieser Bahnhof ein Verkehrsknotenpunkt in der Eifel. Jetzt ist Bitburg-Erdorf ein Idyll geworden. Allerdings mit einigen problematischen Zutaten.

Wer von der Mainzer Straße in Bitburg-Erdorf auf den gleichnamigen Bahnhof blickt, gewahrt einer ungemein interessante, vielfältige Schiefer-Dachlandschaft. Das malerische Empfangsgebäude des Bahnhofs aus dem Jahr 1871 besteht aus einer Kombination von unterschiedlichen, sich ergänzenden Gebäudeteilen, repräsentativ und vielfältig zugleich. Dahinter steckt ein Konzept, das für die meisten Empfangsgebäude an der Linie Trier-Köln maßgebend war. Die Architektur an der Eifelstrecke geht auf Ideen von Julius Raschdorff zurück. Der Architekt, der bis 1872 als Stadtbaumeister in Köln wirkte, so bedeutende Gebäude wie das Wallraff-Richartz-Museum baute und 1892 zum Dombaumeister in Berlin aufstieg, fertigte Ende der 1860er Jahre Muster-Entwürfe von kirchen- und schlossähnlichen Bahnhofsgebäuden im neugotischen Stil, die sich durch eine geschickt kombinierte Vielfalt von Portalen, Türmen, Giebeln und unterschiedlich geformten Dächern auszeichneten. Das gab den Baumeistern an Ort und Stelle die Möglichkeit, je nach Größe und Lage die Bauweise zu variieren und dabei die grundlegende Verwandtschaft aller Gebäude zu betonen, aber auch deren Individualität. Als Material diente fast durchgehend roter Sandstein. So sind die meisten Empfangsgebäude an der Eifelstrecke zwar stilistisch einheitlich gebaut, aber nie uniform. Bitburg-Erdorf ist eine Idylle. Meist steigen dort Wanderer, Radfahrer und Senioren ein und aus. Das war nicht immer so. Manfred Stoos, der seit 12 Jahren die Bahnhofswirtschaft betreibt, erinnert sich an Zeiten, zu denen dieser Bahnhof eine Verkehrs-Drehscheibe war. Dort ging die Strecken über Bitburg nach Neuerburg und, gleichfalls über Bitburg, nach Irrel und weiter nach Igel ab. Zehn Gleise lassen sich auf einer alten Ansichtskarte nachzählen. Heute sind es noch drei. Das Gebäude ist wie ein Zwitter - zwischen gleichermaßen aufwändiger wie überflüssiger Renovierung und unauffälligem Verfall. Eingangsbereich und Schalterhalle sind fast wie neu: Sorgfältig gestrichene Wände, ein hochglänzender Kunststeinboden. 1997, kurz nach der Renovierung, entschloss sich die Bahn, ihr Personal abzuziehen. Weil danach die Sprayer ihr Werk begannen, hat die Bahn den Raum kurzerhand geschlossen. Eine piekfeine Investitionsruine. Äußerlich wirkt das Empfangsgebäude sauber und ordentlich. Aber Manfred Stoos beklagt die mangelnden Sanierungsanstrengungen. Vom Dach sei nur eine Seite erneuert worden - immerhin etwas, aber nicht genug. Und überhaupt: Er könne sich mit seiner Gastwirtschaft halten. Aber auch der Rest des Gebäudes müsse genutzt werden. Fahrschule, Friseur? Das bleibt offen. Immerhin hat die Bahn über die Terrasse der Gaststätte und den nicht mehr benutzbaren, weil verschlossenen Zugang vom Bahnsteig zum Gebäude ein Dach gebaut. Glas und kaltes Metall, nüchtern und völlig ohne architektonischen Bezug. Weil es die schlichteste Lösung war, hat der Denkmalschutz schließlich zugestimmt. Hinweis für Radtouristen: Bitburg-Erdorf liegt am Kylltal-Radweg, der von Trier-Ehrang entlang der Kyll bis zur Flussquelle in Losheimergraben führt.

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