"Irgendjemand musste Deutsch lernen"

TRIER. Warum Deutsche so wenig singen und der Bettler an der Ecke ein Geologe sein muss: Der russisch-stämmige Autor Wladimir Kaminer hat 160 Trierer Fans am Mittwoch einen heiteren Abend beschert.

In welcher Sprache träumen Sie? Haben Sie schon in Moskau auf Deutsch geschrieben? Journalisten können unglaublich nerven! Als "ultimative Antwort" auf die ständigen Fragen nach seinem Bezug zur deutschen Sprache hat Wladimir Kaminer eine Geschichte geschrieben. Mit ihr eröffnet der 1967 in Moskau geborene und seit 1990 in Berlin lebende Schriftsteller seine Lesung in der Trierer Tuchfabrik. Moskau, Schule 701, irgendwann in den 70er-Jahren: Kaminer und seine Klassenkameraden wählen eine Fremdsprache. Zur Auswahl: Deutsch und Englisch. Überflüssig zu erwähnen, dass alle sich für die Sprache "unserer Vorbilder wie Ozzy Osborne" entschieden. "Doch irgendjemand musste auch Deutsch lernen. Wir lebten schließlich in einer Planwirtschaft." Die Lösung: Wer gute Noten hatte, durfte zum Englischunterricht, alle anderen wurden in die Deutschstunde geschickt. Dann kamen die Lehrerinnen. Die für Englisch: üppig, blond, erotische Stimme. Die für Deutsch: "Eine große, alte Krähe." Eigentlich sollte Kaminer, der auf Einladung der Akademischen Buchhandlung Interbook in Trier weilte, aus seinem aktuellen Werk "Mein deutsches Dschungelbuch" lesen. Doch dem Publikum war nach neuen Geschichten. Deshalb wühlte der mit Büchern wie "Russendisko", "Schönhauser Allee" und "Militärmusik" zum Kultautor avancierte Kaminer in seiner Manuskript-Mappe und nahm die Leser in die Welt seines nächsten Buches mit. "Ich mache mir Sorgen, Mama" wird es heißen. Im Mittelpunkt: Nicole und Sebastian, die Kinder des Künstlers. Oft geht es um den Blick eines gebürtigen Russen auf die seltsamen Deutschen. Oft um den Blick des "Eingedeutschten" auf die seltsamen Russen. Immer ironisch.Ironisch und doch liebevoll

Und doch immer liebevoll. Kaminer liest in Trier, wozu er gerade Lust hat. Und er hat Lust, hat Spaß an seinen eigenen Texten, die nicht tiefgründig, aber witzig sind. Die 160 Zuschauer schmunzeln, gickeln und lachen laut heraus. Die Erzählungen handeln von Gemeinsamkeiten zwischen Bayern und Don-Kosaken. Von der Sangesfreude der Deutschen, die allerdings unter einem Problem leide: "Sie haben nach 1945 alle Texte vergessen." Von russischen Allheilmitteln, die an der Kaminerschen Katze getestet wurden. Von St. Martin, dem Heiligen, der irgendetwas mit Laternen, Würstchen und Glühwein zu tun haben muss. Von der Schwiergermutter, die den Kaminer-Kindern das russische Volkslied vom bedauernswerten Geologen beigebracht hat - mit dem Ergebnis, dass die beiden nun den Bettler an der Ecke für einen "Geologen" halten. Und von Eltern, die als Zombies durch Gegend laufen, seit ihre Kinder eingeschult wurden und jeden Morgen um halb sieben der Wecker klingelt. Kaminer selbst war kein guter Schüler, wie er sagt. "Aber ich war auch nicht schlecht genug für den Deutschunterricht." Seine Beziehung zu der Sprache, in der er alle seine Bücher schreibt, begann deshalb erst, als er 1990 nach Berlin kam. Umso bemerkenswerter, wie er sie heute beherrscht und einsetzt: keine Silbe ist zu viel, der Stil klar, die Worte kraftvoll. Kaminers russischer Akzent unterstreicht seine Perspektive des Außenstehenden. Der eine oder andere falsche Konjunktiv macht seine Erzählungen nur authentischer - ganz abgesehen davon, dass er sich damit hierzulande in bester Gesellschaft befindet. Denn, so endet Kaminers erste Geschichte: "Deutsch bleibt geheimnisvoll." Nicht nur für seine Tochter Nicole, die erklärt, was ein Schriftsteller ist: ein Teller mit Schrift drauf.

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