KOLUMNE

Wie schön, dass Sie sich auf Ihre alten Tage mal wieder als echtes Vorbild für die bundesrepublikanische Bürgerschaft erweisen. Während andere Senioren sich schon mit Sechzig die Sonne in südlichen Gefilden auf den Bauch scheinen lassen oder die Rente in schicken Residenzen verprassen, suchen Sie auch noch mit Siebzig unermüdlich eine neue Tätigkeit.

Nachdem Sie es erfolglos als Fernseh-Unterhalter und Arzneimittel-Werber versucht haben, jobben Sie jetzt als Kleindarsteller auf einer Freilicht-Bühne. Die Nibelungen-Festspiele in Worms haben Sie für die Rolle eines Schlosswächters engagiert. Nun gut, so unmittelbar erschließt sich dem Außenstehenden die Besetzungspolitik nicht. Wächter stellt man sich gemeinhin eher groß und breitschultrig vor, und da fehlt Ihnen ein bisschen was am idealen Profil für die Partie. Andererseits: Wenn Sie da unten an der Zugbrücke stehen und immer laut ausrufen "Die Türme sinn sicherrr", wird sich garantiert niemand trauen, die Zinnen zu attackieren. Und notfalls reden Sie den Angreifer einfach schwindlig, das hatten Sie im Bundestag ja auch ganz gut drauf. Aus Ihrer Vorreiter-Rolle ergeben sich natürlich auch höchst spannende Bühnen-Perspektiven für ehemalige Kollegen, die gleichfalls in erschütternder Unbeachtetheit ihr Dasein fristen. Man muss nur die passende Partie finden. Rita Süßmuth könnte ihre Minister-Rente als "Mutter Courage" aufbessern, Hildegard Hamm-Brücher wäre prädestiniert für den "Besuch der alten Dame". Für Gerhard Schröder und Joschka Fischer böte sich die Opernbühne an, in der Walhalla bei Wagners "Götterdämmerung". Heiner Geißler hat sich durch Altersklugheit für "Nathan der Weise" qualifiziert, die Ex-Finanzminister Theo Waigel und Hans Eichel brillieren als Gebrüder Moor in "Die Räuber". Helmut Kohl avanciert zum großen Beckett-Darsteller, schließlich wartet man auf die Nennung seiner Parteispender genau so vergeblich wie auf Godot. Der alte Herr Genscher könnte seine Erfahrungen mit dem fliegenden Koalitionswechsel im "Diener zweier Herren" einbringen. Graf Lambsdorff als "Der Geizige", Claudia Nolte als "Jungfrau von Orléans": Wäre doch gelacht, wenn wir nicht die ganzen versorgungsbedürftigen Regierungs-Veteranen auf den Theater-Bühnen unterbringen könnten. Gaukeln und mimen haben sie schließlich gelernt. Dieter Lintz

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