Kernige Weihnachten!

TRIER. Klingklang gibt‘s zur Weihnachtszeit genug. Martin Folz lieferte mit dem Männerkammerchor "Ensemble 85" und der Jazz-Sängerin Sue Lehmann in der vollbesetzten Kirche St. Irminen gezielt Flottes und Nachdenkliches.

Sage noch jemand, Jazzgesang passe nicht zum Weihnachtsfest. Oder Männerchor nicht zur Jazzsängerin. Martin Folz räumt in der voll besetzten Trierer Kirche St. Irminen gleich mit mehreren Klischees auf. Jazz-Sängerin Sue Lehmann gibt dem bekannten Lied "Inmitten der Nacht" einen phantastisch schrägen Sound, und die 13 vorzüglichen Sänger vom saarländischen Männerkammerchor "Ensemble 85" liefern einen differenzierten Background. Arrangeur Folz hat bei seiner Bearbeitung tief in die polyphone Kiste gegriffen und etliche Kontrapunkte hervorgeholt. Und, wie erstaunlich: Sie passen einfach hervorragend zusammen - die schrillen Seelentöne der Sängerin, der markante, reine Männerchorklang, das heimelige Weihnachtslied und die holzschnittartige Polyphonie. "Reiss‘ die Wolken auseinander und komm!" - der Titel klingt ja eher nach Endzeitstimmung und nicht nach weihnachtlichem Aufbruch. Traditionelle Weihnachtslieder, Spirituals, das tiefsinnig-fatalistische Buch Kohelet, Michael Praetorius und Erika Pluhar - das ist schon ein weiter, ein sehr weiter Bogen. Schadet nicht. Chor, Solistin und Dirigent machen daraus eine Christfest-Besinnung, die ankommt - im Kopf und auch emotional. So schmelzen alle Einwände gegen das Programm wie die Zuckerwatte beim Weihnachtsmarkt. Auch in Vorzeiten war das Weihnachtsfest eine Zeit fürs Nachdenken. Im 18. Jahrhundert klingt im Festjubel sogar die Leidensgeschichte an. Gründe gibt es also genug für die ungewöhnliche Stilvielfalt. Aber wahrscheinlich wirkte das Konzert so einheitlich, weil ganz einfach exzellent musiziert wurde. Sue Lehmann singt sauber, gut abgestimmt mit dem Chor, erspart sich das Mikrofon und bleibt trotzdem auch ganz hinten noch präsent. Das "Ensemble 85" ist einfach phanta-stisch: stabiler und doch geschmeidiger Chorklang mit unforciertem Forte, perfekter Intonation, sorgfältiger Textbehandlung und bei etlichen Sängern mit echten Solo-Qualitäten. Martin Folz dirigiert, moderiert, spielt Keyboard und singt manchmal sogar mit. Ein Allrounder in einem Allround-Programm. Am Schluss kamen sogar Simon & Garfunkel mit der klangvoll-melancholischen "Bridge over troubled Water" zu weihnachtlichen Ehren. Und das einmal mehr völlig frei von Sentimentalität. Christfest-Klänge wie musikalisches Schwarzbrot: ohne die zuckersüße Gemütlichkeit, dafür mit viel Biss. Wir wünschen kernige Weihnachten!

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