Leder-Leidenschaften

SPEYER. Ein halbes Jahrhundert nach dem Sieg der deutschen Mannschaft in Bern und ein Jahr nach dem Filmerfolg von Sönke Wortmann zieht zum Jubiläumsjahr das Historische Museum der Pfalz in Speyer mit einer Ausstellung nach.

Eine der besten Geschichten ist immer noch die: Als alle weiter heftig darüber diskutierten, ob der Schuss von Geoff Hurst zum 3:2 im Endspiel zwischen England und Deutschland auch wirklich drin war (Stichwort: Wembley-Tor), schnappte sich Helmut Haller den Ball, packte ihn in seine Tasche und nahm ihn mit nach Hause. Das war 1966. Die Engländer haben das erst in den 90er Jahren gemerkt. Der Aufschrei und das Entsetzen waren aber groß. So, wie wenn a) David Beckham im Nationaltrikot vom Platz fliegt, b) David Beckham im Nationaltrikot einen Elfmeter verschießt und c) die "Tanks" (also die Deutschen) England überrollen. Für viel Geld, die Rede ist von 200 000 Pfund, eiste das National Football Museum von Preston den Ball von Helmut Haller in Augsburg los. Klar, dass die Kugel auch eine von 1000 Objekten ist, die in der Ausstellung "Am Ball der Zeit - Deutschland und die Fußball-Weltmeisterschaften seit 1954" im Historischen Museum der Pfalz in Speyer auf 200 Quadratmetern zu sehen ist. Ein Ball von 1954 ist auch dabei. Und die zwei noch lebenden Weltmeister aus der Pfalz, Ottmar Walter und Horst Eckel, waren zumindest beim Presserundgang zugegen. Sie waren gleich wieder die Stars, mussten Frage um Frage beantworten: Wie oft sie noch auf das Spiel angesprochen werden? Ob es ein vergleichbares Match in ihrem Leben gab? Wie oft sie noch die Ungarn trafen? Die Ungarn? "Wir haben uns so alle zwei Jahre getroffen, wurden gleich nach dem Spiel von ihnen freundschaftlich aufgenommen. Dass Ferenc Puskas sagte, wir seien an diesem Tag die bessere Mannschaft gewesen, darauf können wir sehr stolz sein", meinte Ottmar Walter. Der Coup von Bern nimmt in der Ausstellung natürlich breiten Raum ein. Auf vier großen Leinwänden gibt‘s Bilder von damals. Aber auch die Zeitgeschichte kommt nicht zu kurz. Wie bei allen anderen Weltmeisterschaften auch. Fernsehschirme, so genannte "Mini-Mythen", zeigen - angefangen von 2002 rückwärts - wichtige Daten zu den einzelnen Turnieren, Klein-Displays weisen auf die Höhepunkte des Turniers hin. 2002, bei der WM in Japan und Südkorea, sind wir gleich mal wieder mit dem konsterniert am Pfosten sitzenden Oliver Kahn konfrontiert. Über dem Schirm der WM 1982 sind das Trikot von Torhüter Toni Schumacher ausgestellt und seine Handschuhe, die er sich damals eigens anfertigen ließ, um eine Fingerverletzung zu kaschieren. 1982 war das Jahr, in dem Helmut Kohl Bundeskanzler wurde, Romy Schneider und Grace Kelly starben. Auch daran wird erinnert. Die Ausstellung, die in enger Kooperation mit dem DFB entstand, kostete nach Angaben der Museumsleiterin Cornelia Ewigleben eine Million Euro. "Ich erhoffe mir eine sechsstellige Besucherzahl", sagt sie. "Es ist eine Erlebnisausstellung mit einem spielerischen Ansatz. Wir wollen über Neugierde Interesse wecken und Erinnerungen wiederkehren lassen." Und das gelingt. "Am Ball der Zeit" gerät zu einer faszinierenden Zeitreise. Die Rauminszenierungen sind aufwändig. Einfach originell, wie die Weltmeisterschaft 1974 angepackt wird. Da gab es ja den einzigen Fußball-Vergleich zwischen Deutschland und der DDR ("Wir gegen uns"), und das inspirierte die Macher der Ausstellung dazu, zwei Wohnzimmer aus der damaligen Zeit nebeneinander zu platzieren. Die Unterschiede bei den Möbeln sind gar nicht mal so groß. Auch an die Fans und ihre verschiedenen Utensilien, an Tip und Tap (also die Maskottchen), Fußball-Sammelalben oder den Wandel in der Bekleidung und bei den Schuhen sowie an alte Zeitungsausschnitte haben sie gedacht. Ganz am Ende gibt es noch eine fiktive Pressekonferenz mit all den deutschen Bundestrainern. "Wenn zwei Teams gegeneinander spielen, dann gewinnt immer Deutschland, das ist nicht mehr so", hallt da Franz Beckenbauers Stimme durch den Raum. "Die Ausstellung ist eine Annäherung an den Mythos Fußball und seine zeitgeschichtliche Wirkung", verdeutlichte Ausstellungsarchitekt Uwe Brückner. Horst Eckel findet sie "imponierend." Bis 17. Oktober, di.-so. 10 bis 18 Uhr geöffnet, Katalog 19,90 Euro. Informationen: Tel. 06232/13250, im Internet: www.museum.speyer.de

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