Lustbringer und Frustkiller

Sex geht immer, und jetzt soll er's auch im Museum richten. 100 000 Jahre der "schönsten Nebensache der Welt" verspricht die Ausstellung im Landesmuseum Trier.

Trier. "Wir wollen zeigen, wie sich der Umgang mit Sexualität im Laufe der Jahrhunderte verändert hat", erklärt Kurator Vincent T. van Vilsteren. Im Grunde gar nicht, das wird gleich beim ersten Rundgang klar. Fantasie beim Liebesspiel, sprich Stellungsvielfalt, pflegten offensichtlich schon unsere steinzeitlichen Vorfahren. Als angeblich ältestes Gewerbe der Welt ist die Prostitution genauso eine zeitlose interkulturelle Konstante sexueller Praxis wie die Homosexualität. Und selbst das erotische Spielzeug blieb durch die Zeiten gleich, wie die ausgestellten Dildos (nachgebildete männliche Genitale) belegen. Als Lustbringer wie Frustkiller werden sie seit Jahrtausenden von Lesben, einsamen Frauen (ob abgelegter Ehefrau chinesischer Kaiser oder zur Keuschheit verpflichteten Nonnen) und wohl auch von stimulationsbedürftigen Männern benutzt.Gewaltsam unterdrückte Lust

Psycho-Urvater Freuds theoretische Kopplung vom Urtrieb "Lust an Aggression" bestätigt sich beim Anblick gezüchtigter nackter Hinterteile, ob nun Prediger oder Domina die Peitsche schwingen. Ganz abgesehen davon, dass sich die gewaltsam unterdrückte Lust wohl zu aller Zeit ihr Ventil in Perversionen suchte. Die erotischen Postkarten des 19. Jahrhunderts schließlich mögen bei ihren Betrachtern ähnliche Reaktionen ausgelöst haben wie die lüsternen Satyre und die sich paarenden Damen und Herren auf den Trinkschalen der Antike. Zu den sexuellen Dauerbrennern gehören zudem Voyeurismus und Sodomie.Also nichts wirklich Neues an der Sex-Front, nur ein paar unterschiedliche Zeitgewänder und kulturelle Spielregeln. Denn eins ist auch klar: Alle Gesellschaften regeln und kontrollieren ihre Sexualität. Welche Ideen den zeittypischen Umgang mit ihr prägen ist die eigentlich spannende Frage. Und da wird die Schau arg oberflächlich. So ist die griechische oder römische Gesellschaft der Antike nicht unbedingt sexuell freizügiger. Sie hat lediglich ein anderes Verhältnis zum nackten Körper, der göttliche Schönheit versinnbildlicht und keinen christlichen Sündenfall kennt. Mit ihren Prinzipien des Dionysischen und Apollinischen (Rausch und geistvolles Maß) verfügten die alten Griechen zudem über eine Sexualkultur, deren Erotik mit plattem Sex so viel zu tun hat wie Currywurst mit einem Feinschmeckermenu. Was hier völlig zu kurz kommt.Gott Priapos: Schutzgott statt Sexprotz

Das frühe republikanische Rom ist zudem nicht mit dem spätantiken Kaiserreich gleichzusetzen. Der "Sex" aus dem Titel macht alles platt. So ist auch Gott Priapos mit seinem riesigen Phallus ein Schutzgott und kein Sex-Protz heutigen Zuschnitts, dazu ein kultisches Fruchtbarkeitssymbol wie der Phallus selbst, oder der frühgeschichtliche weibliche Körper der "Venus von Wilmersdorf". Parallelen dazu gibt es in allen vormodernen Kulturen der Welt. Überhaupt wäre der Vergleich zeitgleicher indogermanischer Kulturen wahrscheinlich interessanter als dieser Galopp durch die abendländische Geschichte. Viel zu kurz kommen inhaltlich auch Epochen wie das Barock mit seiner Mischung aus "höchster Extase und tiefster Innerlichkeit" oder die erotisch gefärbte Mystik des Mittelalters. Man geht durch diese Ausstellung wie durch eine kulturhistorische Anekdotensammlung zum Thema Sex. Ein paar Kuriositäten wie die geheimen Kabinette erotischer Sammlungen und ein paar seltene Stücke sind zu sehen, darunter ein "sexy" Röckchen der Bronzezeit, die ältesten bekannten Kondome, Bordellmarken oder die römische "Damenunterwäsche" aus Trier. Gleich am Eingang empfängt einen ein schöner Bacchus aus dem Bestand des Hauses mit abgeschlagenem Genital. Seine weichen Lenden sind beredt genug. Wie schrieb mal ein kluger Mensch: "Das größte Genital sitzt zwischen den Ohren."Geöffnet bis 22. Juni , Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag, 9.30 Uhr bis 17.30 Uhr, Telefon: 0651/9774-0, oder Internet: www.landesmuseum-trier.de

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