Lustgewinn schlägt Kriegsgewinn

Von unserem Redakteur RAINER NOLDEN TRIER. Die meist gespielte Komödie aus dem antiken Griechenland beendete die Antikenfestspiele 2004. Hans Hollmann inszeniert Aristophanes‘ "Lysistrata" im Bühnenbild von Hans Hoffer. Erst wenn sie mit dem Kämpfen aufhören, dürfen die Männer wieder zu ihren Frauen ins Bett. Triebstau als Grund für Waffenstillstand - das ist eine schöne Utopie, ein ironisches Märchen, besonders in diesen unseren Zeiten der ebenso kriegslüsternen wie impotenten, das heißt erfolglosen Machthaber. Es ist auch eine hintergründige Gesellschaftssatire. Oder eine amüsant-ironische Auseinandersetzung über die Stellung der Frau in einer männerdominierten Gesellschaft sowie der Versuch, diese Vorherrschaft zu überwinden. Und ganz sicher auch ein Machtkampf im oder vorm Schlafzimmer, ausgetragen mit den perfiden Mitteln des Versprechens und Verweigerns. Jeder einzelne Aspekt wäre es wert, in einer Inszenierung von Aristophanes‘ berühmtester Komödie zum roten Faden zu werden. Regisseur Hans Hollmann entscheidet sich in "Lysistrata" jedoch für den schlichte-sten Ausweg: Er holt den Vorschlaghammer aus dem Werkzeugkasten und klopft sich eine Klamotte zurecht. Es geht, damit‘s keine Missverständnisse gibt, nicht um Liebe in "Lysistrata". Romantiker müssen draußen bleiben. Es geht vielmehr um puren Sex und reine Triebbefriedigung. Ein Stück, das dem Phallus huldigt. Nichts gegen erigierte Glieder, sind sie doch göttliches Attribut (jedenfalls bei unseren lebenslustig-unverklemmten Vorfahren), Zeichen der Fruchtbarkeit und Daseinsfreude. Damals jedenfalls. Was heute allerdings kein Grund ist, aus dem Stück einen Komödienstadl für die Beate-Uhse-Klientel zu machen. Da laufen die Männer mit Sexual-Prothesen über die Szene, die sie bei jedem Schritt aus dem Gleichgewicht zu bringen drohen; die Frauen hantieren mit schlaffem Gartenschlauch und bespritzen die Männer, die darob Zeter und Mordio schreien - kurz, es ist stellenweise so albern, dass es fast wehtut. Leise Töne, fein ziselierte Gesten, beiläufige Pointen, jene minimalen Mittel zum maximalen Zweck also, sucht man an diesem Abend in den Kaiserthermen nahezu vergebens. Genug gemeckert. Wo bleibt das Positive? Das bleibt bei den Schauspielern, und da ist es in guten Händen. Vor allem bei der prächtigen Angelika Milster in der Titelrolle - eine femme radicale oder eher doch ein kesser Vater? Man kann sich bei ihrer Lysistrata des Verdachts nicht erwehren, dass sie mit Männern gar nicht allzu viel am Hut hat und deshalb auf deren Anwesenheit ganz gut verzichten kann. Dafür knutscht sie ihre Schwestern im Kampfgeist (besonders die im Lederdress: Eva Steines als - warum auch immer - schauerliches Trierisch sprechende Lampito) hingebungsvoll ab und lässt bei der Begrüßung auch gern die Hände wandern. Sollte hinter ihren pazifistischen Motiven nur schnöder Lustgewinn stehen, wenn sie sich mit den Frauen in der Burg verbarrikadiert, wo sie doch mit ihnen wahrscheinlich viel lieber nach Lesbos gefahren wäre? Jedenfalls versteht Milster es auf bewundernswerte Weise, den ganzen Abend lang mit Stentorstimme die Frauen bei der Stange zu halten und den selbstherrlichen Männern den Marsch zu blasen, um metaphorisch beim Grundtenor der Inszenierung zu bleiben. Die Länge macht noch lange nicht die Größe Dass schließlich die Länge noch lange nicht die Größe macht, beweist die zierliche Schauspielerin im Wortduell mit dem selbstgefälligen, sie um eine halbe Körperlänge überragenden Ratsherrn Peter Singers, dem auch der Kothurn keine majestätische Aura verleiht. Leise, hintergründige Töne findet allenfalls Verena Rhyn für ihre Kalonike, hinter deren damenhafter Fassade ein Feuer, nun ja, nicht gerade der Zügellosigkeit lodert. Aber ein Kind von libidinöser Traurigkeit ist diese antike Hellenin ganz gewiss nicht. Jung und knackig und (ent)kleidungsmäßig eher nuttig als erotisierend (Kostüme: Gera Graf) spielt Nadine Kettler die Myrrhine, die ihrem Mann in der Zeit der selbst auferlegten Abstinenz am näch-sten kommt, aber in letzter Sekunde noch die Kurve kriegt, um den Frieden nicht zu gefährden. Ein Hauch von Slapstick liegt über der Szene, wenn der ihr angetraute Kinesias nicht zum Vollzug kommt: Tim Olrik Stöneberg leidet sichtbarlich nicht nur unter Fortbewegungsproblemen, wenn er die improvisierte Bettstatt unverrichteter Dinge verlassen muss. Um keine Ausrede verlegen, wenn es darum geht, ins heimische Ehebett auszubüxen, schlagen sich Pia Röver, Sylvia Schulz und Madlen Nikolova. Christiane Müller, Helen Höbel und Christine Reinhold lassen als Chor der Frauen nicht mit sich spaßen, was der Chor der Männer schmerzhaft zu spüren kriegt. Hier glänzen Manfred-Paul Hänig als ordenklimpernder Chorführer, der nur in seiner Männerrunde den Mund ziemlich voll nimmt und damit große Reden schwingt, Hans-Peter Leu als schwyzerdütschelnder Gastarbeiter und vor allem Reinhard Bock als verträumt-hagerer Erzähler grotesker Geschichten und Träume, im Habitus eine köstliche Mischung aus Don Quijote und Karl Valentin. Herzlicher Applaus für alle und, na klar, am meisten für Angelika Milster.

Erst wenn sie mit dem Kämpfen aufhören, dürfen die Männer wieder zu ihren Frauen ins Bett. Triebstau als Grund für Waffenstillstand - das ist eine schöne Utopie, ein ironisches Märchen, besonders in diesen unseren Zeiten der ebenso kriegslüsternen wie impotenten, das heißt erfolglosen Machthaber. Es ist auch eine hintergründige Gesellschaftssatire. Oder eine amüsant-ironische Auseinandersetzung über die Stellung der Frau in einer männerdominierten Gesellschaft sowie der Versuch, diese Vorherrschaft zu überwinden. Und ganz sicher auch ein Machtkampf im oder vorm Schlafzimmer, ausgetragen mit den perfiden Mitteln des Versprechens und Verweigerns. Jeder einzelne Aspekt wäre es wert, in einer Inszenierung von Aristophanes‘ berühmtester Komödie zum roten Faden zu werden. Regisseur Hans Hollmann entscheidet sich in "Lysistrata" jedoch für den schlichte-sten Ausweg: Er holt den Vorschlaghammer aus dem Werkzeugkasten und klopft sich eine Klamotte zurecht. Es geht, damit‘s keine Missverständnisse gibt, nicht um Liebe in "Lysistrata". Romantiker müssen draußen bleiben. Es geht vielmehr um puren Sex und reine Triebbefriedigung. Ein Stück, das dem Phallus huldigt. Nichts gegen erigierte Glieder, sind sie doch göttliches Attribut (jedenfalls bei unseren lebenslustig-unverklemmten Vorfahren), Zeichen der Fruchtbarkeit und Daseinsfreude. Damals jedenfalls. Was heute allerdings kein Grund ist, aus dem Stück einen Komödienstadl für die Beate-Uhse-Klientel zu machen. Da laufen die Männer mit Sexual-Prothesen über die Szene, die sie bei jedem Schritt aus dem Gleichgewicht zu bringen drohen; die Frauen hantieren mit schlaffem Gartenschlauch und bespritzen die Männer, die darob Zeter und Mordio schreien - kurz, es ist stellenweise so albern, dass es fast wehtut. Leise Töne, fein ziselierte Gesten, beiläufige Pointen, jene minimalen Mittel zum maximalen Zweck also, sucht man an diesem Abend in den Kaiserthermen nahezu vergebens. Genug gemeckert. Wo bleibt das Positive? Das bleibt bei den Schauspielern, und da ist es in guten Händen. Vor allem bei der prächtigen Angelika Milster in der Titelrolle - eine femme radicale oder eher doch ein kesser Vater? Man kann sich bei ihrer Lysistrata des Verdachts nicht erwehren, dass sie mit Männern gar nicht allzu viel am Hut hat und deshalb auf deren Anwesenheit ganz gut verzichten kann. Dafür knutscht sie ihre Schwestern im Kampfgeist (besonders die im Lederdress: Eva Steines als - warum auch immer - schauerliches Trierisch sprechende Lampito) hingebungsvoll ab und lässt bei der Begrüßung auch gern die Hände wandern. Sollte hinter ihren pazifistischen Motiven nur schnöder Lustgewinn stehen, wenn sie sich mit den Frauen in der Burg verbarrikadiert, wo sie doch mit ihnen wahrscheinlich viel lieber nach Lesbos gefahren wäre? Jedenfalls versteht Milster es auf bewundernswerte Weise, den ganzen Abend lang mit Stentorstimme die Frauen bei der Stange zu halten und den selbstherrlichen Männern den Marsch zu blasen, um metaphorisch beim Grundtenor der Inszenierung zu bleiben.Die Länge macht noch lange nicht die Größe

Dass schließlich die Länge noch lange nicht die Größe macht, beweist die zierliche Schauspielerin im Wortduell mit dem selbstgefälligen, sie um eine halbe Körperlänge überragenden Ratsherrn Peter Singers, dem auch der Kothurn keine majestätische Aura verleiht. Leise, hintergründige Töne findet allenfalls Verena Rhyn für ihre Kalonike, hinter deren damenhafter Fassade ein Feuer, nun ja, nicht gerade der Zügellosigkeit lodert. Aber ein Kind von libidinöser Traurigkeit ist diese antike Hellenin ganz gewiss nicht. Jung und knackig und (ent)kleidungsmäßig eher nuttig als erotisierend (Kostüme: Gera Graf) spielt Nadine Kettler die Myrrhine, die ihrem Mann in der Zeit der selbst auferlegten Abstinenz am näch-sten kommt, aber in letzter Sekunde noch die Kurve kriegt, um den Frieden nicht zu gefährden. Ein Hauch von Slapstick liegt über der Szene, wenn der ihr angetraute Kinesias nicht zum Vollzug kommt: Tim Olrik Stöneberg leidet sichtbarlich nicht nur unter Fortbewegungsproblemen, wenn er die improvisierte Bettstatt unverrichteter Dinge verlassen muss. Um keine Ausrede verlegen, wenn es darum geht, ins heimische Ehebett auszubüxen, schlagen sich Pia Röver, Sylvia Schulz und Madlen Nikolova. Christiane Müller, Helen Höbel und Christine Reinhold lassen als Chor der Frauen nicht mit sich spaßen, was der Chor der Männer schmerzhaft zu spüren kriegt. Hier glänzen Manfred-Paul Hänig als ordenklimpernder Chorführer, der nur in seiner Männerrunde den Mund ziemlich voll nimmt und damit große Reden schwingt, Hans-Peter Leu als schwyzerdütschelnder Gastarbeiter und vor allem Reinhard Bock als verträumt-hagerer Erzähler grotesker Geschichten und Träume, im Habitus eine köstliche Mischung aus Don Quijote und Karl Valentin. Herzlicher Applaus für alle und, na klar, am meisten für Angelika Milster.

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