Mimen, Masken, Monstrositäten

LUXEMBURG. Noch eine Kooperation mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen, die vorerst letzte möglicherweise. Doch diesmal lief es andersherum: Der Premiere im Revier folgte die Luxemburger Aufführung von Thomas Bernhards "Theatermacher".

Nun hat Intendant Frank Hoff-mann den Luxemburger Wettlauf um das "ius primae noctis theatralis" in letzter Sekunde mit einem veritablen Kraftakt doch noch für sich entschieden und seinem "Théâtre National" vor dem "Grand Théâtre" (Eröffnung im September) den ersten Platz verschafft. Und nebenbei die französische Spache um einen Begriff erweitert: Er lud ein zur "préouverture", zur Eröffnung vor der Eröffnung seiner festen Spielstätte im nächsten Jahr. Aber um welchen Preis: Eine Premiere auf der Baustelle. Das arme Theater des Jerzy Grotowski feiert fröhliche Urständ‘. Unverputzte Wände, blank liegende Kabel, Requisiten teilen sich das anheimelnd zementgraue Ambiente mit Bagger und Handwerkszeug. Von der Decke tropft Wasser. Doch halt, das gehört schon zum Stück. "Was für ein Saal!" Der Satz des Hauptdarstellers sorgt dann auch erwartungsgemäß für Gelächter. "Wenn es wenigstens Trier wäre!"

Gespielt wird im Theater im Werden ein Stück vom Theater im Vergehen, für das Jean Flammang eine schön-schäbige Szenerie geschaffen hat: Thomas Bernhards "Theatermacher", diese Hasserklärung an und Liebestirade auf alle Schauspieler dieser Welt. Held und Antiheld ist der abgehalfterte Mime Bruscon, der durchs Land tingelt und nicht mal mehr auf richtigen Bühnen spielt, sondern in den Hintersälen trister Gasthöfe. Diesmal ist es der Tanzsaal des "Schwarzen Hirschen" im 280-Seelen-Kaff Utzbach, wo Bruscon seine nach neunmonatiger Wachstumszeit geworfene Komödie "Das Rad der Geschichte" präsentiert. "Wenn es wenigstens Trier wäre", schreibt Hoffmann seinem Hauptdarsteller als lokale Spitze in den Text. Ein Stück, das nur auf den ersten Blick steht und fällt mit seinem Protagonisten. Der hat zwar einen gigantischen, knapp zweieinhalbstündigen Monolog zu bewältigen, aber Hoffmann widmet sich liebevoll auch den (stummen bis fast stummen) Nebenfiguren: Bruscons untalentierter Frau Agathe (Christiane Rausch), zur lächerlich-absurden Heroine aufgemotzt (die Ko-stüme stammen von Katharina Polheim), ebenso untalentiert wie Sohn Ferruccio (Marc Baum) und Tochter Sarah (Brigitte Urhausen), die vom Vater in den verhassten Beruf gezwungen wurden und die er mit sadomasochistischer Wollust quält, demütigt, aufbaut und her-unterputzt. Dann gibt es da noch den namenlosen Wirt, dem die schönen Künste ein Buch mit weit mehr als sieben Siegeln sind. Thierry van Werveke spielt ihn als tumben Toren, fast eine Abstauberrolle angesichts der Lacher, die er auf sich ziehen kann. Man wundert sich nur, dass dieser Dorfdepp ein so resches Töchterlein (Anouk Wagener) produzieren konnte. Spätestens beim Auftritt der Wirtin jedoch, die Anette Schlechter als grotesk-überzogene Parodie einer drallen Metzgersfrau spielt, kommen Zweifel auf: Sind all diese Gestalten nicht vielleicht bloß Phantasiegeschöpfe und Nachtschimären von Bruscon, dem traurigen Helden in dieser Tragikomödie eines lächerlichen Mannes? Bloß der Stoff, aus dem so manche Träume sind?

Der Stoff, aus dem seine Alpträume sind, die er bis zu seinem Lebensende erleben und -leiden muss? Hoffmann gibt dem Gedanken Nahrung, indem er die Menschen rund um seinen Hauptdarsteller immer wieder zu bizarren Auftritten arrangiert, im Hintergrund auftauchen, im Vordergrund umherhuschen lässt, ohne dass sie wahrgenommen werden von Bruscon. Den spielt André Jung - und spielt dabei auf der gesamten Palette seiner Fähigkeiten: von schlechter Schmiere über komischer Knallcharge und ungemütlichem Despoten bis zum bemitleidenswerten armen Teufel: ein monstre sacré auf allen Brettern, die die Welt bedeuten. Noch ein Kraftakt an diesem Abend, ein schauspielerischer, und mit Bravour bewältigt. Freilich - ein bisschen Rotstift hätte dem Stück gutgetan; da schlichen sich dann doch irgendwann Längen, Langeweile und Langatmigkeiten ein. Ein selbstgefälliger Bühnengockel wird nicht unbedingt witziger dadurch, dass seine Eitelkeiten im ständigen Dacapo repetiert werden. Was nichts daran ändert, dass man André Jung gesehen haben sollte, nein: muss. Viel Gelegenheit dazu gibt‘s allerdings leider nicht mehr - nur noch heute und morgen Abend. Karten: 00352/26441270.

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