Pendeln zwischen den Extremen

TRIER. Eine Auseinandersetzung mit der Musik der Gegenwart bot die Europäische Kunstakademie in einem Konzert mit dem Kammerensemble Neue Musik Berlin.

"Moderne Musik im antiken Trier muss kein Widerspruch sein", sagte Gabriele Lohberg im Vorfeld eines Kammerkonzertes in der Europäischen Kunstakademie. Eine Aussage, die man vielleicht besser umformt in "Moderne Musik ist im antiken Trier kein Widerspruch". Würde diese Stadt, zu Recht Stolz auf ihre lange Geschichte, in der Historie verharren, wäre sie ein totes Gebilde, aus dem nichts Neues mehr zu erwarten wäre.Nun ist es aber mit der neuen Musik eine nicht ganz einfache Angelegenheit. Altbekannte Formensprache löst sich auf, Maßstäbe, mit denen der Zuhörer verlässlich umgehen kann, passen nicht mehr. Das Publikum wird gezwungen, sich auf völlig neues Terrain zu begeben, ohne vorher zu wissen, was es erwarten kann.Das Einzige, von dem man als gegeben ausgehen konnte, war die bekanntermaßen hohe Qualität der Ausführenden. Zu Gast war das Kammerensemble Neue Musik Berlin (KNM), das sich schon seit vielen Jahren einen herausragenden Namen für seine Auseinandersetzung mit der Gegenwartsmusik erworben hat. Ausnahmslos muss man den Mitgliedern ein brillantes Können bescheinigen, ebenso wie in der exzellenten Art des Zusammenspiels.Bei neuer Musik ist immer die Gefahr gegeben, alles in Bausch und Bogen zu verreißen, niederzumachen, den Musikern zu empfehlen, zu Althergebrachtem zurückzukehren. Dann aber wäre die Musik bald genauso tot wie eine Stadt, die in der Historie verharrt. Vieles von dem, was das KNM in der Akademie zu Gehör brachte, gehörte in den Bereich des Experiments, war äußerst sperrig. Ob Beat Furrers "solo" oder Rebecca Saunders "Trio I" oder auch Karin Haussmanns "Resonanzen"- überall lauerte die Gefahr, leichtfertig zu behaupten, der Komponist und auch die Musiker wollen das Publikum auf den Arm nehmen. Jeder Tonsetzer experimentierte mit den Instrumenten, ließ die Cellistin weniger das Cello streichen als auf ihm herumklopfen, forderte von der Pianistin, nicht durch die Tasten, sondern durch Zupfen die Saiten zum Klingen zu bringen. Das Ergebnis waren Klänge, Klangschichten, die gegeneinander gestellt wurden, sich zu Neuem vermischten.Musik? Kunst? Scharlatanerie? Wer vermag das schon zu sagen? Zu allen Zeiten gab es die Pendelbewegungen zwischen den Extremen, ohne die es keine Weiterentwicklung gegeben hätte. Mag man die Ton- und Klangschöpfungen, die in der Akademie aufgeführt wurden, beurteilen, wie man will. Das Konzert war ein mutiger Schritt, der Anerkennung und Unterstützung verdient. Er öffnete im antiken Trier eine Tür in eine neue Welt. Es wäre fatal, diese Tür wieder zu zuschlagen. Dann wäre Trier, zumindest auf diesem Gebiet, tot.

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