Schönheit des Scheiterns

Es gibt Konzerte, da wird in der ersten Reihe rumgehüpft. Es gibt Konzerte, da werden simple Textzeilen lauthals mitgegrölt. Es gibt Konzerte, da erzählen Sänger ihre komplette Lebensgeschichte und warum sie jetzt gerade in diesem Ort mündet. Konzerte von Tocotronic gehören nicht dazu. Sie funktionieren auf eine andere Weise.

 Kapitulation in der Rockhal: Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow. TV-Foto: Andreas Feichtner

Kapitulation in der Rockhal: Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow. TV-Foto: Andreas Feichtner

Esch/Alzette. (ch) Die dominierende Bewegung von rund 500 Besuchern an diesem April-Abend in der Rockhal in Esch/Alzette ist ein rhythmisches Kopfnicken. Ein Nicken, das "Ja" sagt zu jedem einzelnen Takt der Band um Frontsänger Dirk von Lowtzow. Viel mehr Kommunikation zwischen Band und Publikum braucht es nicht. Keine großen Ansagen, keine langen Geschichten und Anekdoten. Einzig "Kapitulation" wird als die gemeinsame Zelebrierung des totalen Untergangs, der ultimativen Niederlage angesagt. Ansonsten beschränkt sich Dirk von Lowtzow auf die Songtitel und ein mehr oder weniger gehauchtes "Dankeschön" oder "Merci beaucoup".Aber auch so entsteht eine vertraute Atmosphäre der Verbundenheit zwischen Fans und Band, was durch die vielen nachdenklichen Lieder noch verstärkt wird. Umso stärker wirken die wenigen schnellen Stücke an diesem Abend wie das sehr punkige "Sag alles ab".

Kapitulation und die befreiende Wirkung des Scheiterns sind der Grundtenor des Konzerts. So spielen Tocotronic "Verschwör dich gegen dich für alle selbstzerstörerischen Dandys da draußen", "Mein Ruin" oder "Aber hier leben, nein danke". Obwohl auch die älteren Lieder aus der mittlerweile 15-jährigen Bandgeschichte viele Fans haben und teilweise lautstark gewünscht werden. Doch die Fans müssen sich mit sehr kurzen Ausflügen in die Frühphase von Tocotronic, etwa mit "Die Grenzen des guten Geschmacks 2" oder "Let there be rock", begnügen. "Drüben auf dem Hügel" kommt erst als Zugabe, "Freiburg" gar nicht.

Vielleicht deshalb, weil die alten Stücke noch zu viel Wut und zu wenig Resignation ausstrahlen, um eindrucksvoll scheitern zu können.

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