Seinen Sätzen wohnt Unheil inne

TRIER. Mit der Einladung zum renommierten Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Literatur-Wettbewerb kam 2003 für Guy Helminger der Durchbruch. Morgen, Freitag, liest der luxemburger Autor um 19.30 Uhr im Atrium der Volkshochschule Trier. Im Vorfeld gab er dem TV ein Interview.

Seine Figuren erwachen von Kopf bis Fuß bandagiert auf einer Parkbank oder finden am Morgen eine abgeschnittene Zunge im Waschbecken. "Guy Helmingers Sätzen wohnt Unheil inne", schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Verstärkt werden die surrealen Szenen durch die ausdrucksvolle Sprache, in der beim Erzähler Helminger immer auch etwas vom Lyriker Helminger mitschwingt. Als was sehen Sie sich eher: als Lyriker oder als Erzähler? Helminger: Als Lyriker. Ich habe mit Gedichten angefangen, und für mich ist das die Königsdisziplin. Ich versuche auch in meiner Prosa das, was ich als Lyrik bezeichne - also dieses Sich-Beziehen der Sprache auf sich selbst, das sich in Metaphern, in Bildern äußert. Ich will nicht eben schnell eine Geschichte erzählen, sondern dass sich die Sprache im eigenen Sud suhlt. Wahrgenommen werden Sie aber eher als Erzähler, oder? Helminger: Es ist ja so: Die wenigsten Leute lesen Gedichte. Deshalb kommt es notgedrungen dazu, dass mehr über Prosa geredet wird. Aber in den Kreisen, die sich mit Lyrik beschäftigen, bin ich durchaus auch als Lyriker präsent. Oft nehme die Schule Kindern den Spaß an Gedichten, klagt Helminger. Statt sie vorzutragen, nuschele man vor sich hin. Er hat Autoren in Seminaren beigebracht, wie man Texte eindrucksvollpräsentiert - eine seiner vielen Tätigkeiten. Schauspieler war er schon und Barkeeper, er hat Flachdächer abgerissen und Asphalt gelegt. Alles "Brotjobs", weil er vom Schreiben nicht leben konnte. Das ist vorbei. Den Durchbruch hat Ihnen die Einladung im vergangenen Jahr nach Klagenfurt gebracht, wo sie den 3sat-Sonderpeis gewonnen haben. Was hat sich verändert? Helminger: Alles. Mein Manuskript wollten sich plötzlich 18 Verlage angucken. Bis dahin war es so, dass ich meine Texte losschickte und dann erst sechs Monate warten musste, bis ich etwas hörte. Der Witz ist: Meine Literatur ist ja nicht besser oder schlechter geworden nach Klagenfurt! In diesem Herbst veröffentlicht Guy Helminger zum ersten Mal Texte in einem deutschen Verlag: Suhrkamp bringt neue Kurzgeschichten von ihm heraus. Ein großer Sprung, denn Helmingers bisherige Bücher - zum Beispiel die Gedichtbände "Leib eigener Leib" (2000) und "Verwanderung" (2002) oder "Rost" (2001), eine Sammlung von Kurzgeschichten - sind im luxemburgischen Verlag "Editions Phi" erschienen und hierzulande schwer zu bekommen. Sie sind Luxemburger, leben aber seit 20 Jahren in Köln. Was antworten Sie, wenn Sie im Ausland gefragt werden, wo Sie herkommen? Helminger: Aus Luxemburg. Eigentlich bin ich Nomade, mir ist völlig egal, woher ich komme. Aber weil luxemburger Literatur im Ausland nicht bekannt ist, sage ich immer, ich bin luxemburger Autor. Welchen Einfluss haben Ihre Wurzeln auf Ihre Arbeit? Helminger: Wenn man zum Beispiel Rost liest - ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass das ein Luxemburger geschrieben hat. Aber in meinen Gedichten habe ich dieses Hin und Her thematisiert. Ich habe eins gemacht, das heißt "Besuchung". Es handelt davon, dass man immer wieder nach Luxemburg zurückfährt, wenn man da ist, schnell weg will und sich dann wieder danach sehnt, hinzufahren. Geboren und aufgewachsen ist Guy Helminger in Esch sur Alzette. Sein Vater war Arbeiter, die Mutter Hausfrau. Woher das künstlerische Blut kommt, das nicht nur in seinen Adern fließt, sondern auch in denen seines Bruders und Schriftsteller-Kollegen Nico, ist Guy Helminger ein Rätsel. Er entdeckte seine Begeisterung für Literatur in der Schulzeit, später studierte er unter anderem Germanistik. Was ist Ihre stärkere Sprache? Helminger: Luxemburgisch ist meine Muttersprache. Bis ich sechs Jahre alt war, habe ich nur luxemburgisch gesprochen. Ich habe zwar sehr früh deutsch gelernt, bleibe aber eben auch immer jemand, dessen Muttersprache das nicht ist. Ist es nicht schwierig, in einer Fremdsprache zu schreiben? Helminger: Wenn man etwas schreibt, dann braucht man Distanz zu seinem Objekt. Ich gehöre zu denen, die sagen: Ein Verliebter schreibt kein gutes Liebesgedicht. Wenn man als Ausländer deutsch lernt, isteinem diese Distanz automatisch mitgegeben. Es gibt aber auch Kritiker, die sagen, ein Autor könne nur in seiner Muttersprache gute Literatur schreiben. Helminger: Die gibt‘s. Aber das ist Unsinn. Fragen Sie Beckett mal. In Trier liest Helminger sowohl Kurzgeschichten als auch Gedichte. Für einen - unheilvollen - Vorgeschmack lohnt sich ein Blick auf die Internetseite www.guyhelminger.de .

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