Tatort Berlin blockiert Tatort im Ersten

Nach einem Putin-kritischen "Gebet" in einer Moskauer Kirche wurden sie verhaftet, verurteilt - und weltberühmt. Das war einmal: Inzwischen ist es still geworden um Pussy Riot.

Frankfurt hat sie aber zu neuem Leben erweckt: Als "Pussy Riot Theatre" sind sie jetzt zum ersten Mal in Deutschland aufgetreten. Mit dabei: Maria Aljochina, die 2012 verhaftet und wegen "Rowdytums aus religiösem Hass" zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt wurde. "Riot Days" heißt das nur gut einstündige Programm, eine rasende Mischung aus Konzert, Videodokumentation, Performance und Lesung, basierend auf Aljochinas Buch "Tage des Aufstands", das vor kurzem erschienen ist. Darin berichtet sie über die Jahre zwischen Band-Gründung 2011 und Haftentlassung 2013. Über Polizei-Schikane und eine politische Justiz, Transporte und Straflager, Hungerstreiks und Einzelhaft, aber auch darüber, wie die Gruppe entstand und was sie bis heute antreibt. In der Performance werden große Teile des Textes nacherzählt, nachgespielt, nachgebrüllt - auswendig, in rasendem Tempo und auf Russisch. Recht punkig soll es zugegangen sein beim Konzert: mit Wasser aus Plastikflaschen, das ins Publikum gespritzt wurde, viel Zigarettenqualm und nackten Oberkörpern (männlichen). Die Performance seinerzeit im zentralen Gotteshaus Moskaus dauerte 40 Sekunden und brachte zwei Mitglieder von Pussy Riot für zwei Jahre hinter Gitter. In Frankfurt werden sie dafür als Helden des Widerstands gefeiert. "Wir haben eine Stimme. Wir haben die Wahl", rief Aljochina am Ende des Auftritts. Richtig, die haben wir! Am Sonntag. Allerdings nicht so, wie sich das manche Menschen wünschen. An diesem Abend gibt es nämlich keinen "Tatort" im Ersten. Und warum müssen wir auf Mord und Totschlag verzichten? Nur wegen der Bundestagswahl. Das Erste, wie auch das ZDF, sendet zur besten Sendezeit die "Berliner Runde" mit Vertretern der Bundestagsparteien. Und die dürfte nun wirklich ziemlich unkriminell verlaufen. Wenn sie so spannend wird wie der ganze Wahlkampf, kann man nur mit Donald Duck sagen: "Gähn." Selbst Rosamunde Pilcher oder ähnlich Welt- und Herzbewegendes, also selbst die Ausweichschmonzette im Zweiten, steht an diesem Abend nicht zur Wahl. Aber die Fernsehverantwortlichen haben durchaus ein Herz für die Freunde reichlich fließenden, wenn dieses Mal auch nicht frischen Blutes: Das WDR-Fernsehen zeigt um 20.15 Uhr einen alten Münster-Fall mit Axel Prahl und Jan Josef Liefers: "Zwischen den Ohren" aus dem Jahr 2011, und der ARD-Fernsehsender One (das frühere Einsfestival) hat um 21.45 Uhr einen alten Frankfurter "Tatort" mit Andrea Sawatzki und Jörg Schüttauf im Programm, den viele für einen der besten der Geschichte halten, unter anderem wegen einer hervorragenden Rolle von Matthias Schweighöfer: "Weil sie böse sind" aus dem Jahr 2010. Der Titel hat gewiss nichts mit dem Wahlausgang zu tun wie angeblich 1998: Das Erste hatte damals am Wahltag nach 23 Uhr den legendären "Tatort: Reifezeugnis" mit Nastassja Kinski ausgestrahlt. "Tatort"-Experte François Werner von "tatort-fundus.de" vermutet: War es vielleicht ein Kommentar zur absehbaren Abwahl von Langzeit-Bundeskanzler Helmut Kohl? Zum Schluss ein bisschen Neid fürs Wochenende gefällig? Den werden Sie wahrscheinlich nicht haben, falls Sie auch 400 000 Euro im Jahr verdienen - wie WDR-Intendant Tom Buhrow. Der 58-Jährige hat die paar Kröten, die er für seinen Job bekommt, vehement verteidigt. "Man kann das immer weiter treiben mit dem Neid", erklärte der ehemalige "Tagesthemen"-Moderator in Köln. "Ich kann absolut zu den Gehältern stehen. Man kann immer sagen ,weniger, weniger, weniger'." Dann lande man am Ende bei Milliardären, die es sich leisten können, den Job ehrenamtlich zu machen. Ob das so gut wäre für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wolle er bezweifeln. Tja, man könnte es doch mal ausprobieren, oder? Also: Gibt es irgendwo einen deutschen Milliardär, der freiwillig nach Köln ziehen würde? no/dpa Unterm Strich - Die Kulturwoche

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