Totengedenken ohne Tragik

TRIER. Der Spee-Chor und Martin Folz musizierten so, wie man sich Brahms im 21. Jahrhundert vorstellt: Temporeich, offensiv, manchmal geradezu elegant und gefällig. Aber mit der Sperrigkeit fehlte dem "Deutschen Requiem" in St. Maximin auch die düstere Symbolkraft.

Das "Deutsche Requiem" von Johannes Brahms ist kein Fall fürs bequeme Hören. Der Komponist zwingt Rückblick und Gegenwart, Gemeinde-Gläubigkeit und persönliche Einkehr zusammen. Neben eingängigen, hochromantischen Sätzen klingt im Werk ein sperriger Klassizismus an, etwas Stachliges, Widerständiges, und die Fugen ragen heraus wie fremdartige, kaum bewältigte Reste der Händelschen Oratorientradition.Ein Brahms ohne Sentimentalitäten

Wie also umgehen mit dieser Komposition? Martin Folz di-stanziert sich vom Befremdlichen in dieser Musik und musiziert Brahms, als wäre er Vorläufer der Jugendstils - Trauer in Schönheit. Im fünften Satz intonieren die Streicher der qualitativ durchschnittlichen "Sinfonietta Saarbrücken" das zentrale Motiv sanft und doch füllig. Sabine von Blohns kultivierter, eher schmaler Sopran zeichnet die Melodik mit perfektem Legato und ausgefeilter Text-Artikulation nach. Beim Spee-Chor klingt der Trost, den der Text beschwört, sacht und zuversichtlich. Martin Folz zieht das Tempo an, vermeidet gefühlvolle Ruhepunkte. Heilende Musik, fern von romantisch Rührseligem, preußischer Strenge und altfränkischer Biederkeit. Dieses Konzept ist in sich schlüssig und doch einseitig. Von Anfang an kultiviert der Spee-Chor einen geschmeidigen, fast eleganten Stil, nimmt den Fugen das akademisch Starre und bringt für den großen Orgelpunkt am Ende des dritten Satzes doch genügend Energie mit. Die Musik wirkt offensiv, klangglänzend, sehr lyrisch, sehr gesanglich, ohne Sentimentalitäten. Aber auch privat und harmlos. Etwas Wichtiges fehlte. Der Trauermarsch im zweiten Satz mit seiner beklemmenden Wucht - bei Martin Folz gerät er platt und nichts sagend. Der dritte Satz: Siegmund Nimsgern singt seine Baritonpartie mit einer Markanz und einer Dramatik, die vergessen machen, dass da von der Hinfälligkeit der Menschen die Rede ist. Die Verkündung des apokalyptischen Geheimnisses im sechsten Satz bleibt vordergründig. Häufig geraten die großen Lautstärke-Entwicklungen, die Brahms vorzeichnet, matt und unentschieden, sind die leisen Stellen zu laut. Den "Feierlich" vorgeschriebenen letzten Satz nimmt Folz fast hektisch und geleitet sehr allmählich erst in den Abgesang des Werks hinein. In der geglätteten, behenden Interpretation geht eins unter: die düstere Symbolkraft dieser Musik, ihre Tragik, das auskomponierte Wissen um die Abgründe menschlicher Existenz. Martin Folz und der Spee-Chor sind klangschön und konsequent an der Oberfläche geblieben. Zu Beginn hatten die Sängerinnen und Sänger Gustav Mahlers Lied "Ich bin der Welt abhanden gekommen" in einer A-cappella-Version von Clytus Gottwald aufgeführt, geriet in der Intonation allerdings mehrfach auf Abwege. Vielleicht muss ein Chor gelegentlich seine Grenzen austesten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Vom erwischt werden
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael BoltonVom erwischt werden
Zum Thema
Aus dem Ressort