Traumschiff mit Tücken

TRIER. "Leinen los" heißt es bei Donizettis komischer Oper "Der Liebestrank" im Theater Trier. Die Regie hat das Stück auf ein neuzeitliches Kreuzfahrtschiff verlegt. Untergegangen ist es nicht - aber zu einer Bilderbuch-Reise fehlte doch einiges.

 Flug ins Glück: Annette Johansson und Eric Rieger im Happy End. Foto: Theater

Flug ins Glück: Annette Johansson und Eric Rieger im Happy End. Foto: Theater

Ganz schön was los auf der MS Donizetti. Die junge Adina lässt sich von dem stinkreichen Playboy Belcore anmachen und flirtet gleichzeitig mit ihrem mittellosen Jugendfreund Nemorino, der sich als blinder Passagier auf den Luxuskreuzer geschlichen hat - weshalb er sich wie Dr. Kimble auf der Flucht befindet, mitten unter der vergnügungssüchtigen Jet-Set-Schar, die in ihrer Skurrilität an die Besetzung von "Tod auf dem Nil" erinnert. Als Adina den faden Belcore zu ehelichen droht, ersteht Nemorino beim Butterfahrt-Starverkäufer Doktor Dulcamara ein vermeintliches Liebeselixier. Weil gleichzeitig durch einen Funkspruch an Bord bekannt wird, dass er Millionen von seinem verstorbenen Onkel geerbt hat, rennen ihm plötzlich alle Mädels hinterher, was er fälschlicherweise auf den "Zaubertrank" zurückführt. Natürlich kriegt er am Ende sein Liebchen, beide fliegen (!) auf einer geklauten Vespa (!!) von der MS Donizetti.Inhalt gegenüber dem Original verändert

Man muss der Inhaltsangabe in diesem Fall etwas mehr Raum widmen, weil sie nur am Rande mit dem zu tun hat, was Donizetti 1832 schrieb. Das ist nicht schlimm, im Gegenteil: Die Verlegung der ländlichen Komödie ins Traumschiff-Milieu eröffnet originelle szenische Perspektiven, zumal Manfred Breitenfellners Bühnenbild eine Wucht ist und das Saal-Publikum zu Passagieren auf dem Luxusliner macht. Peter Tibor Thanner liefert dazu originell-schräge Kostüme - die Optik stimmt, auch wenn es gegen Ende Kraut und Rüben bei den Vorhangwechseln gibt. Nemorino mal nicht als Dummerchen vom Lande, sondern als naiver James-Dean-Verschnitt: Das kann man machen, ebenso wie die Transponierung der Gutsbesitzerin Adina zur Edel-Zicke. Aber bei Belcore, den Donizetti musikalisch als schneidigen Offizier charakterisiert hat, gerät die Milieu-Umwandlung an ihre Grenzen. Man hört die Marschklänge der Soldaten - und sieht einen gelangweilten Playboy im Bademantel samt blasierter Cocktail-Clique. Dass sich Nemorino vor lauter Verzweiflung bei der Armee verpflichtet, wovon ihn Adina freikauft und somit ihre Liebe beweist, wird in der Trierer Inszenierung zu einem läppischen Arbeitsvertrag. Da ist es wieder, das Problem, das Regisseur Rupert Lummer schon bei seiner "Italienerin in Algier" hatte: Originelle Ideen, gute Tableaus, aber ein Mangel an Stringenz bei der Handlung und an Punktgenauigkeit bei den Pointen. Warum Dulcamara das Schiff vermittels einer aus der Luft landenen Vespa betritt, warum der Chor Freiübungen mit Tüchern in Tricolore-Farben macht, warum Belcore mit einem Fisch tanzt: Keiner weiß es, man kann es so machen, aber auch anders. Diese Beliebigkeit sorgt dafür, dass der Abend - der beileibe nicht misslungen oder gar ärgerlich ist - über den Status des "Netten" nicht hinauskommt.Es wird gut musiziert und vorzüglich gesungen

Das ist schade, weil gut musiziert und vorzüglich gesungen wird. Annette Johanssons Adina ist ein Gedicht, ein musikalisches Rollenporträt weit über virtuosen Nachtigallen-Belcanto hinaus. Da klingt in den sorgsam gestalteten Arien an, dass der "Liebestrank" längst keine reine "opera buffa" mehr ist, Adina schon eine Vorfahrin von "Lucia di Lammermoor". Eric Rieger zeichnet einen keineswegs kreuzbraven Nemorino mit vorbildlicher Wortbehandlung, darstellerischer Verve und einer gut geführten Stimme, die in der Mittellage etwas unfrei klingt, aber nach oben spürbar an Durchschlagskraft gewinnt. Mit dem Duo Johansson/Rieger ließe sich auch im seriösen Belcanto-Repertoire einiges für Trier erschließen. Eine sinnvollere Perspektive, als sich an schwierigen Wagner-Werken zu verheben. Ein pointierter, gewandter Erz-Komödiant mit hoher Bühnenpräsenz ist Frank Blees' rundum gelungener Doktor Dulcamara, eine in akustischer und optischer Hinsicht gleichermaßen attraktive Erscheinung die Gianetta von Alexandra Leiße. Andreas Scheel (Belcore) liegen die verzwirbelten Belcanto-Linienführungen nicht - dafür hält er sich wacker. Der Chor ist zurzeit bei fast jeder Produktion eine Bank, das Orchester unter Leitung des verlässlichen Franz Brochhagen musiziert ohne Fehl und Tadel, aber nicht übersprudelnd vor Spritzigkeit. Am Ende reserviert-freundlicher Beifall, der bei Frank Blees und Eric Rieger deutlich zulegt und bei Annette Johansson in Ovationen übergeht. Vorstellungen: 23., 26. Dezember, 3., 14., 27. Januar. Mehr zum Thema im Internet-Weblog von Dieter Lintz unter www.intrinet.de/blog/dil-spitzen

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