Vom dummen August zum weisen Nathan

Wenn der Schauspieler Manfred-Paul Hänig am kommenden Samstag die Titelrolle in "Nathan, der Weise" übernimmt, dann geht er auf seine 30. Spielzeit am Trierer Theater zu. Als "Institution" würde er sich wohl dennoch nur ungern bezeichnen lassen.

 Stationen einer Schauspieler-Karriere: Manfred-Paul Hänig steht seit 30 Jahren auf der Trierer Bühne. Fotos: TV-Archiv (2), Friedemann Vetter (2), Dieter Lintz.

Stationen einer Schauspieler-Karriere: Manfred-Paul Hänig steht seit 30 Jahren auf der Trierer Bühne. Fotos: TV-Archiv (2), Friedemann Vetter (2), Dieter Lintz.

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Trier. Die Haare sind fast wieder so lang wie damals, als der junge Wilde aus Zadeks Bochumer Schauspiel-Truppe ausgerechnet im beschaulichen Trier anheuerte. 1978 war das, für Pavel Kohouts Zirkus-Stück "August, August, August". Nur dass der Kopfputz seinerzeit dicht und dunkel war — heute ist er eher licht und weiß.Seither hat Manfred-Paul Hänig Heerscharen von Intendanten, Spielleitern, Regisseuren und Schauspielern kommen und gehen sehen. Er hat Zeiten erlebt, in denen Landräte Schülern den Besuch einer modernen Inszenierung von Schillers "Räubern" verbieten wollten. Aber auch Phasen, in denen progressive Regisseure das Publikum derart vergraulten, dass in einer Vorstellung nach der Pause nur noch fünf Rollstuhlfahrer saßen - sie konnten nicht weg, weil ihre Betreuer sie verabredungsgemäß erst am Ende wieder abholten. An die 200 Rollen hat er in drei Jahrzehnten verkörpert. Nicht alle hat er so prägnant in Erinnerung wie Brechts "Schweyk im Zweiten Weltkrieg" oder den Ehemann in "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?". Ewig unvergessen dürfte ihm der Dorfrichter Adam im "Zerbrochnen Krug" bleiben, den er - undenkbar in einem anständigen deutschen Theater - ohne Generalprobe spielen musste. Justament zum entscheidenden Probedurchgang war nämlich Söhnchen Leon auf die Welt gekommen. Heute ist er 12 und dürfte einer der Gründe sein, warum Manfred-Paul Hänig Trier und seinem Theater nie mehr den Rücken gekehrt hat. Er brauchte allerdings auch gar nicht weg, um alle Facetten eines Schauspielerlebens auszukosten. In "Nicht Fisch, nicht Fleisch" von Franz Xaver Kroetz kroch er splitternackt auf der Bühne herum, in "Ein Käfig voller Narren" musste er, der Gesangs-Skeptiker ("das war echt die Grenze") eine Musical-Hauptrolle singen. Kleine Rollen, große Rollen, starke Jahre, ruhige Jahre: "Die Frage, ob ich Hauptrollen spiele oder nicht, hat mich nie belastet", sagt Hänig. Ein ewiger Grübler ist er ohnehin nicht. "Ich warte noch auf die Midlife Crisis", lacht der 58-Jährige. Was immer er gespielt hat: Es war stets ein großes Stück Hänig mit dabei. Zu den Chamäleons, jenen Schauspielern, die sich von Rolle zu Rolle völlig verwandeln, hat er nie gehört. Wollte er auch nicht. So hat er seinen raubeinigen Charme vielen Figuren geliehen - gerne auch gegen die herrschenden Rollen-Klischees. Vielleicht sah Regisseurin Bettina Rehm ihn gerade deshalb als ihren "Nathan". Denn vom lieben, weisen alten Mann wird Hänigs Interpretation naturgemäß weit weg liegen. "Wer sagt denn, dass Nathan alt ist?", fragt Rehm und wünscht sich eine Titel-Figur, "die noch im Saft steht, die zornig werden kann". Ganz im Sinn von Hänig: "Dieser Nathan verfolgt knallhart seine Interessen". Und auch Rehm will Lessings Toleranz-Helden "vom Podest holen", ohne ihn zu verfälschen. Dass er "seinem Gegenüber als Mensch begegnet und nicht als Funktionsträger der jeweiligen Religion", scheint ihr eine durchaus aktuelle Botschaft. Aber Nathan sei eben auch einer, der die Trauer um die Ermordung seiner Familie nie verarbeitet habe. Manfred-Paul Hänig fährt derweil mit seinem roten Roller nach Hause und brütet über seiner monumentalen Text-Menge. Längst haben sie den gebürtigen Norddeutschen in Trier zum Kammer-Schauspieler gemacht, aber auf ein Podest passt er so wenig wie sein Nathan. Den "elder statesman" wird er wohl auch mit 70 nicht geben. Auch wenn er sich als langjähriger Ensemble-Specher Gedanken über das Theater macht, das Alt-Intendant Stromberg einst als "Oase der Menschlichkeit" bezeichnete. "Früher wurde zwischendurch öfter gejuxt als heute", hat er registriert. Aber das, so ahnt er, "ist wohl kein Theater-Spezifikum". Premiere am 10. November, 19 Uhr. Karten: 0651/7181818.

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