Wenn der Gerichtssaal zum Theater wird

TRIER. Zu einer besonderen Lesung lud die Akademische Buchhandlung Interbook in Trier. Merlin Holland, Enkel von Oscar Wilde, las mit dem Schauspieler Michael Nix vom Theater Trier aus den Akten des "Queensberry-Prozesses" von 1895, in welchem Wilde wegen Homosexualität verurteilt wurde.

Merlin Holland war von der British Library gebeten worden, eine Gedenkausstellung zum 100. Todestag seines Großvaters Oscar Wilde (1854-1900) auszurichten. Seit Jahren schon hatte er sich mit dem Leben und Werk des berühmten Dichters und Dandys beschäftigt, ein "Oscar-Wilde-Album" und seinen Briefwechsel herausgegeben. Bei den Vorbereitungen zur Ausstellung wurde Holland ein Manuskript zugespielt - die Abschrift des "Queensberry"-Prozesses. Wilde hatte ihn selbst angestrengt, weil er sich vom Marquis von Queensberry verleumdet fühlte. Der hatte ihn nämlich der Sodomie bezichtigt - so nannte man damals die Homosexualität, die Wilde (nicht nur) mit Queensberrys Sohn, Lord Alfred Douglas, verband. Der Prozess ging als einer der skandalträchtigsten in die (Literatur-)Geschichte ein: Wilde wurde zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, das er 1897 als gebrochener Mann verließ. "Niemand wusste von der Exi-stenz des Prozessprotokolls", erzählt Merlin Holland im Gespräch mit dem TV . Sein Auftauchen - Holland möchte den Überbringer des Schriftstückes nicht nennen, "weil er zum weiteren Kreis der Familie gehört" - galt als Sensation. Kein Wunder, dass Holland sich unverzüglich daran machte, die handschriftlichen Aufzeichnungen zu entziffern und als Buch herauszugeben. "Oscar Wilde im Kreuzverhör" gibt die dreitägige Gerichtsverhandlung wortwörtlich wieder. Hier lieferte sich der scharfsinnig-spöttische Wilde ein brillantes Wortgefecht mit dem ebenso wortgewandten Anwalt der Gegenpartei, Sir Edward Carson - und redete sich doch um Kopf und Kragen. Denn der geniale Selbstdarsteller und eitle Bonvivant hielt den Prozess für eine Theatervorstellung, bei der es galt, möglichst viele Lacher vom Publikum zu bekommen. Ein fataler Irrtum. Wiegte ihn der Anwalt der Gegenpartei, der ausgerechnet ein Wilde bereits übel gesonnener Kommilitone aus gemeinsamen Studientagen am Trinity College in Dublin war, am ersten Verhandlungstag noch in Sicherheit, indem er den Autor über Literatur befragte und ungehemmt plaudern ließ, so schnappte am zweiten Tag die Falle zu: Mit einer Fangfrage trieb er den Dichter in die Enge - und der wusste von diesem Augenblick an, dass das Urteil gesprochen war. "Könnte ich meinem Großvater eine Frage stellen, würde ich von ihm wissen wollen, warum er sich so verhalten hat - warum er den Prozess angestrengt hat, von dem er wusste, dass er ihn nicht gewinnen konnte. Warum er nicht ins Ausland gegangen ist, wie Freunde ihm geraten haben", sinniert Merlin Holland. Mit seinem Vater Vyvyan Holland, Oscar Wildes jüngstem Sohn, hat er nie darüber gesprochen: "Mein Großvater war zu Hause tabu" - zu groß war die Schande im prüden England, als dass man sich zu einem der berühmtesten Homosexuellen des Landes offen bekannt hätte. Aus diesem Grunde hatte Wildes Frau Constance auch den Namen Holland angenommen. Es war nicht einmal ihr Mädchenname, den man zu leicht auf sie hätte zurückführen können, sondern der eines weitläufigen Verwandten.Ein blitzgescheiter, bühnenreifer Wortwechsel

Nun also eine späte Rehabilitation durch den Enkel, der seinen Großvater nie gekannt hat, ihm aber durch jahrelange Recherchen so nahe gekommen ist, dass er ihn "für einen ungemein sympathischen Menschen" hält. Ein Prozess wird im Englischen nicht zu Unrecht oft mit "court room theatre" bezeichnet. Nicht anderes war auch der Schauprozess gegen Wilde: ein mehr oder weniger blitzgescheiter, bühnenreifer Wortwechsel. Anlässlich der Buchvorstellung in England kam der Verleger auf die naheliegende Idee, Teile des Werkes von zwei Schauspielern rezitieren zu lassen. Die renommierten (und mit Holland befreundeten) Schauspieler Steven Berkoff und Colin Redgrave ("Vier Hochzeiten und ein Todesfall"), Sohn von Michael Redgrave, konnten für eine Lesung gewonnen werden. Als Redgrave bei einer zweiten Lesung krankheitshalber ausfiel, sprang Merlin Holland ein - und reist seitdem nicht nur als Chronist, sondern sozusagen als sein eigener Großvater durchs Land. Trier war die letzte Station einer langen Lesereise durch Deutschland. In der Akademischen Buchhandlung Interbook trat er mit Michael Nix vom Theater Trier auf. Ein sehr ungleiches Paar - und dennoch verblüffend stimmig. Wo Nix als bissiger Anwalt seine ganze Schauspielkunst in die Waagschale warf, blieb Holland besonnen, ruhig und freundlich, setzte nur hier und da, very British, ein paar unterkühlte Pointen, mit denen er wie einst sein Großvater die gut 150 Zuhörer zum Lachen brachte. Lang anhaltender Beifall, für Lesungen eher untypisch, belohnte die beiden Akteure für eine ungemein unterhaltsame Gerichtsverhandlung. Hat der Prozess gegen den brillanten Provokateur und zynischen Komödianten die britische Gesellschaft verändert? "O ja", nickt Holland, der nach einem Germanistikstudium in Heidelberg, Wien und Zürich als Verleger und Geschäftsmann gearbeitet hat und mittlerweile mit seiner Frau in Südfrankreich lebt. "Freunde von mir, ebenfalls Homosexuelle, haben mir gesagt, dass der Prozess gegen meinen Großvater die Sache der Schwulen in Enland um minde-stens fünfzig Jahre zurückgeworfen hat. Insofern hat mein Großvater seinen damaligen ,Leidensgenossen‘ einen Bärendienst erwiesen." Aber er hat ihn wenigstens in so brillante Worte gefasst, wie sie von einem Angeklagen vor Old Bailey selten zu hören waren. Merlin Holland: "Oscar Wilde im Kreuzverhör - Die erste vollständige Niederschrift des Queensberry-Prozesses", Karl Blessing Verlag München, 461 Seiten, 22 Euro.

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