"Wenn es ganz ernst wird, spricht der Kölner Hochdeutsch" - Kölschrocker Wolfgang Niedecken im TV-Interview

Trier · "Für 'ne Moment" lautet der Titel seiner Autobiographie: Kurz vor seinem 60. Geburtstag blicktWolfgang Niedecken darin auf sein Leben zurück. Im TV-Interview spricht der Kölner außerdem über die neue BAP-Platte "Halv su wild".

 BAP-Chef Wolfgang Niedecken bei einem Auftritt in Esch. (TV-Archivfoto)

BAP-Chef Wolfgang Niedecken bei einem Auftritt in Esch. (TV-Archivfoto)

Foto: Verena Schüller

(ves) Wolfgang Niedecken wird am 30. März 60 Jahre alt. Nun ist die Autobiographie des BAP-Frontmanns erschienen. TV-Mitarbeiterin Verena Schüller sprach mit ihm über persönliches Bilanzziehen und das Besinnen auf die Herkunft, über die Eifel und den 1. FC Köln.

Sie haben dieses Jahr viel vor - 60 Jahre Wolfgang Niedecken, 35 Jahre BAP, Ihre Autobiographie und ein neues Album. War es einfach an der Zeit, mal Bilanz zu ziehen?
Wolfgang Niedecken: Ehrlich gesagt: Die Gelegenheit war günstig. Wann soll ich das sonst machen? (lacht) Wenn der 60. Geburtstag vor der Tür steht - und das sieht man ja schon von Weitem kommen -, ist das natürlich auch eine wunderbare Gelegenheit, mal so ein Album zu machen, bei dem man auf der einen Seite zurückschaut und auf der anderen Seite seinen Jetzt-Zustand formuliert. Zudem ist es natürlich auch wunderbar, so ein Buch schreiben zu können, das nur von dem handelt, was einen wirklich noch interessiert.

Gibt es deswegen so viel Überraschendes in Ihrer Autobiographie "Für 'ne Moment" zu lesen?
Niedecken: Ja, es ist ein Buch, in dem viele Sachen nicht so sind, wie man sie erwartet. Es ist überhaupt kein Höher-Größer-Schneller-Weiter-Buch, es fällt auch nicht unter BAP-Enzyklopädie, kein Angeberbuch über unsere größten Erfolge, auch nicht "Meine Villa, meine Jacht, mein Auto". Sondern es sind Sachen drin, die man nicht darin vermutet. Wer schreibt schon in seine Autobiographie rein, dass er in Köln auf der PH die Aula leergespielt hat? (lacht) Da hätte uns sicher irgendein Medienberater gesagt: "Komm! Lass das mal weg! Das picken die sich alle raus und nachher stehst du als Arsch da." Aber ich finde mich in dem Buch total wieder, finde auch Facetten wieder, die mich ausmachen, von denen man noch nicht so viel geredet hat.

Dazu zählt wohl auch der erste Schauplatz im Buch: Es ist tatsächlich nicht Köln, sondern New York.
Niedecken: Das ist sicher für viele ziemlich irritierend. Doch das macht dann ja trotzdem Spaß, dass man auch in New York auf einmal BAP wiederfindet. Köln am Anfang wäre halt so üblich gewesen. Wissen Sie, ich habe zu Hause etwa zwischen drei und vier Meter Bob Dylan stehen. Und wenn so ein Dylan-Buch in Hibbing, Minnesota, beginnt, dann fang ich an zu blättern und denke: Wann wird's denn interessant? Denn das kenn ich ja alles, da weiß ich alles drüber. Ein wichtiges Ausschlusskriterium war deshalb für uns bei der Arbeit: Sobald wir gemerkt haben, dass mir ein Thema langweilig wurde, haben wir es lieber weggelassen. Denn das Buch ist sowieso 200 Seiten dicker geworden als ursprünglich geplant. Warum sollten wir den Platz verplempern mit Rechtfertigungsscheiß oder irgendwelchen Sachen, über die schon tausendmal geschrieben wurde? Dieses Mal hatten wir es ja selbst in der Hand, konnten also den Teufel tun, irgendwas zu müssen.

Sie haben das Buch zusammen mit Ihrem Freund Oliver Kobold geschrieben. Ist es deswegen so eine lebendige Autobiographie geworden, die alles in einen Gesamtzusammenhang stellt?
Niedecken: Hätte ich dieses Buch nicht mit einem wirklich guten Freund machen können - wir kennen uns jetzt 20 Jahre -, der sich in meinem Leben sehr gut auskennt, der ganz viel Liebe zum Detail mitgebracht hat und beim Arbeiten bestimmt nicht auf die Stechuhr geguckt hat, ich weiß nicht, ob wir dann so ein Buch hinbekommen hätten, ob es dann nicht doch üblicher geblieben wäre. Aber Oliver ist gelernter Literaturwissenschaftler und weiß natürlich Bescheid in diesem Metier. Das ist ein großer Vorteil, den ich da hatte. Mit so einem Freund an so einem Buch arbeiten zu können, ist etwas ganz anderes, als mit jemandem, den der Verlag anruft mit der Neuigkeit: "Der Niedecken wird 60." Der trifft sich dann ein paar Mal mit dir und dann schreibt der dieses Buch. Wohlmöglich jemand, der überhaupt nichts mit BAP am Hut hat. Das ist ein Unterschied. Den Oliver aber hab ich vor 20 Jahren kennengelernt, als er mich gefragt hat, warum wir denn eigentlich auf der "X für e' U"-Tournee nicht den Song "Griefbar noh" spielen. Das war seine Eröffnungsfrage. Meine Antwort lautete: "Der hat keine Mehrheit in der Band gefunden." Und er sagte darauf: "Schade, das ist nämlich der beste Song des Albums." (lacht) Das war der Grundstein für eine lange, immer großartiger werdende Freundschaft. Und jetzt bei der Lesereise spiele ich den Song dann erstmals live.

Dann bekommt Oliver Kobold ihn auch endlich mal zu hören?
Niedecken: Ich habe ihn ihm neulich am Schreibtisch auf jeden Fall schon mal vorgespielt.

So wie Sie gerade vom Kennenlernen Ihres Freundes erzählt haben, werden in Ihrem Buch zahlreiche Begegnungen mit Menschen beschrieben. Sind das die Momente, die einem niemand mehr nimmt, von denen Sie im Song "All die Aureblecke" auf dem neuen Album singen?
Niedecken: Auf jeden Fall. Das ist dieses bewusste Leben. Wenn man als Künstler durch die Gegend rennt und die Antennen ausgefahren hat, bekommt man vieles mit, das wertvoll ist, das einem emotional etwas bedeutet. Ich kann mich an viele Momente in meinem Leben erinnern, Gott sei Dank, in denen ich sehr glücklich war und dachte: "Hast du ein Schwein, Mann! Das ist ja unglaublich! Das darfst du alles leben hier!" Und wenn ich mir überlege, wen ich alles durch dieses bisschen Rock 'n' Roll kennengelernt habe. Das müssen nicht immer Prominente sein, das können auch Leute sein, die mir ansonsten in meinem Leben viel bedeuten. Aber auch eben, mit Bruce Springsteen befreundet zu sein, wann immer der im Land ist, mit dem zu spielen. Das ist natürlich was. Das Privileg gehabt zu haben, mich im letzten Jahr seines Lebens sogar noch mit Heinrich Böll anfreunden zu dürfen. Das bedeutet mir auch viel. Und Wim Wenders ist mein großer Bruder. Ich halte immer die Luft an, wenn er einen neuen Film macht, ob er damit Erfolg haben wird oder nicht. Wir haben wirklich ganz engen Kontakt. Aber es sind nicht nur die, ich könnte Ihnen noch etliche nennen, deren Namen Ihnen nichts sagen. Mein Freund Oliver hat zum Beispiel jetzt dieses Buch mit mir geschrieben. Von dem hätte ich Ihnen vor einem Jahr auch noch nichts erzählen können. Wer ist Oliver Kobold? Literaturwissenschaftler aus Stuttgart. Na prima!

Auf Ihrem neuen Album "Halv su wild" taucht zum einen immer wieder eine über die Jahre errungene Gelassenheit auf, zum anderen die "Unruh enn dä Seel", wie Sie singen. Ist das ein Gegensatz, mit dem man sich irgendwann arrangiert?
Niedecken: Ja. Der Titelsong "Halv su wild" besteht ja aus lauter tröstlichen Sätzen. Die kann man sich auch selber sagen, aber wenn sie einem geliebte Menschen sagen, dann tut das mitunter sehr gut. Aber man ist sich ja trotzdem bewusst darüber, dass allein mit diesen Sätzen nichts vom Teller zu ziehen ist, da muss schon ein bisschen mehr kommen. Aber sie können Kraft geben. Und das ist wirklich ganz wichtig. Es verschafft so etwas wie eine Atempause, sozusagen einmal Durchlüften.

Zählt zu dieser Atempause auch das Besinnen auf die Herkunft? Sie schreiben: "Nur wenn man sich klarmachte, woher man kam, würde man vielleicht irgendwann wissen, wer man ist." Ist der 800-Meter-Radius rund um die Kölner Severinstraße 1, in der Sie aufgewachsen sind, deshalb so wichtig?
Niedecken: Ich habe nie meine Biographie beschönigen müssen. Aber ich lebe sehr konkret im Jetzt. Mir bleibt auch gar nichts anderes übrig. Ich habe eine sehr pulsierende Familie, es wird nie ruhig im Hause Niedecken, es boxt immer der Papst. Insofern komme ich nicht so richtig ins Grübeln über die Vergangenheit. Aber ich habe ja auch kein Problem mit meiner Vergangenheit, meiner Herkunft. Ich weiß, dass alles auseinander entstanden ist, nichts von selber kommt, sondern alles seinen Ursprung hat und eins zum anderen führt.

Mal weg von Köln - raus in die Eifel: Sie kommen nicht nur am 6. August zum Konzert nach Trier, sondern sind auch häufig in Ihrem Haus in Kronenburg (Kreis Euskirchen). Auf dem neuen Album besingen Sie einen Gitarrengott namens Karl-Heinz aus Stadtkyll. Um wen handelt es sich denn dabei?
Niedecken: Das ist mein Freund Karl-Heinz Pütz, der auch ein alter Freund der Band ist. Der hat für uns in den Anfangsjahren ganz viel organisiert und unheimlich viel vermittelt - unter anderem auch mir das Haus in Kronenburg. Er spielt zwar keine Gitarre, aber ich brauchte eben einen Namen für diese Person. Und nun heißen Typen aus der Eifel halt immer Karl-Heinz. (lacht) Das ist auch ein unglaublicher Rock 'n' Roll-Name. Das ist ja praktisch der deutsche Johnny B. Goode. (lacht)

Was reizt Sie denn eigentlich an der Eifel?
Niedecken: An der Eifel gefällt mir vor allen Dingen die Klarheit, die ist nicht verstellt, die ist nicht zugebaut. Die Menschen sind zwar schwierig zu kriegen, aber wenn man sie einmal hat, dann hat man sie. (lacht) Auch in Kronenburg habe ich schon sehr viele angenehme Leute kennengelernt. Dass die Menschen in der Eifel so sind, wie sie sind, hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass die Eifel immer Durchzugsgebiet für marodierende Heere war, so dass die Eifeler nie wussten, wem sie trauen konnten. Ich kann mir das zumindest nur so erklären. Deswegen gucken die auch immer erst mal, wer das ist, der da kommt.

Jetzt ist ja auf der Platte auch endlich mal wieder ein 1.FC-Köln-Lied. Ausgerechnet mit dem Titel "Woröm dunn ich mir dat eijentlich ahn?"
Niedecken: Das wird ja am Ende auch erklärt. In der letzten Strophe sage ich es dann ja dem besungenen Fuss, weil ich es einfach nicht mehr hören kann, dass der immer rumtobt und nicht akzeptiert, dass er in zwei Wochen wieder beim Heimspiel im Stadion sitzen wird. Er wird wieder da sein, denn "et jitt drei Saache, die söök sich keiner uss: Vatter un Mutter un wat willste maache, dä Club, mit dem man leiden muss". Um die Ernsthaftigkeit dieser Aussage zu unterstützen, ist der letzte Halbsatz auf Hochdeutsch. Ich hätte ja auch schreiben können "met dämm mer ligge muss", aber wenn es ganz ernst wird, spricht der Kölner Hochdeutsch.

Tun Sie es sich denn noch häufig an?
Niedecken: Ich leide immer mit. Aber ich genieße es auch. Und momentan bin ich auch sehr erfreut, über die Entwicklung, die beim FC vonstatten geht. Da ist aus der Not eine Tugend gemacht worden. Man hat kein Geld mehr. Deswegen baut man auf eine junge Mannschaft, auf eine logische einfache Lösung - und die funktioniert anscheinend. Mit Volker Finke haben wir jetzt auch einen guten neuen Sportdirektor. Das wird gutgehen.

Und Ihr Tipp? Wo steht der 1. FC Köln am Ende der Saison?
Niedecken: Diese Saison beenden wir zweistellig. Nächste Saison beenden wir einstellig.

Das ist doch mal eine Perspektive. Und wie sieht Ihr Blick nach vorn aus? Alles nur noch "halv su wild"?
Niedecken: Nein, ich werde die nächsten zwei Jahre sicher viel unterwegs sein. Mit der Band und alleine. Auch mit der WDR Big Band und einem neuen Programm mit dem Titel "Deutschlandlieder", das wir zum ersten Mal in Gänze am 3. Oktober in Bonn spielen werden. Denn dieses Jahr werden die Feierlichkeiten zur Deutschen Einheit von Nordrhein-Westfalen ausgerichtet. Und wir sind da der Hauptact. Das ist eine absolute Neuigkeit! Bisschen zu kurz kommen wird dabei wohl der Sommerurlaub dieses Jahr. In solch vollen Jahren parke ich meine Familie ganz gerne im Urlaub und reise ihr dann ab und zu hinterher. Wie auch vor zwei Jahren. Da bin ich von Mallorca aus eingeflogen zu unserem Konzert ins Trierer Amphitheater.

Zur Person:
Wolfgang Niedecken wurde am 30. März 1951 in Köln geboren. Von 1970 bis 76 studierte er Malerei an der Kölner Fachhochschule für Bildende Künste. 1976 gründete er die Kölschrock-Band BAP, deren Sänger und Songwriter er ist. Darüber hinaus engagiert er sich in humanitären Projekten, unter anderem für ehemalige Kindersoldaten in Uganda.

Das Buch:
Seine Autobiographie "Für 'ne Moment" hat er gemeinsam mit dem Literaturwissenschaftler Oliver Kobold geschrieben. Auf 528 Seiten erzählt Niedecken zahlreiche Ankedoten aus seinem Leben - auch fernab von BAP. Das Buch ist nun im Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, erschienen und kostet 24 Euro. ISBN: 978-3-455-50177-3.

Die CD:
"Halv su wild" heißt das neue BAP-Album, das am Freitag, 25. März, erscheint. Es ist ein musikalischer Querschnitt aus 35 Jahren BAP mit melancholischen, rockigen und lustigen Songs. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.bap.de

Das Konzert:
BAP tritt am Samstag, 6. August, 19.30 Uhr, in Trier auf. Der Trierische Volksfreund präsentiert das Konzert der "Klassiker Sommer Tour 2011" im Amphitheater. Karten gibt es in den TV-Service-Centern Trier, Bitburg und Wittlich, unter der TV-Tickethotline 0651/7199-996 sowie unter www.volksfreund.de/tickets.

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