Zwei mörderische Frauen

Saarbrücken · Wem das Trierer Frühjahrs-Opernprogramm mit dem "Wildschütz" etwas dünn vorkommt, der findet eine Autostunde entfernt zwei Opern-Produktionen, die auch höchste Ansprüche zufriedenstellen. Ein abendlicher Ausflug in die Pfalz oder an die Saar könnte sich lohnen.

Saarbrücken. Wahrscheinlich ist es reiner Zufall, dass zwei benachbarte Theater im Südwesten zeitgleich mit Macbeth-Opern auf sich aufmerksam machen. Allzu viel hat Shakespeares von Verdi vertontes Meisterwerk über ein machtgieriges Paar nicht zu tun mit der ländlichen Tragödie von Nikolaj Leskow, die Dmitri Schostakowitsch so genial in Musiktheater verwandelte.
Und doch gibt es eine bemerkenswerte Parallele in den Inszenierungen von Sebastian Welker am Saarländischen Staatstheater und Urs Häberli am Pfalztheater: Es geht um zwei mörderische Frauen, die mit Gewalt aus Verhältnissen ausbrechen, die sie beengen - und die bei ihrer Freiheitssuche über Leichen gehen.
Diktatorischer Schwiegervater


Da ist in Kaiserslautern Katerina Ismailowa, Ehefrau eines kläglichen Kaufmanns-Söhnchens, die unter der Trägheit ihres Mannes mindestens ebenso leidet wie unter dem Überwachungsterror ihres Schwiegervaters. Letzteren stattet die Regie reichlich mit Assoziationen an den Diktator Josef Stalin aus, einen Intimfeind Schostakowitschs.
Eine im engeren Sinne politische Inszenierung liefert Urs Häberli dennoch nicht. Er setzt auf absurdes Theater, lässt Staatsmacht und Volk in grotesken Masken auftreten, schafft eine latent unbehagliche Atmosphäre der Gewalt. Den idealen Rahmen liefert Thomas Dörflers raumfüllendes Bühnenbild, dessen schnörkellose Steinquader die Unbeweglichkeit der russisch-dörflichen Gesellschaft spiegeln.
Intelligente Erzählstrukturen


Nicht jede Regie-Idee erschließt sich - das gilt auch für Saar brücken. Aber es gibt in beiden Produktionen eine große, intelligente, gut funktionierende Erzählstruktur. Bei Welker liegt der Schlüssel bei den Hexen, die Macbeth und seiner Lady in so verhängnisvoller Weise den sozialen Aufstieg voraussagen. Keine Gespenster-Kulisse, keine tanzenden Weiber: Die Hexen sind drei Mädchen in weißen Kommunionkleidchen, so unschuldig wie unheimlich. Sie spiegeln nicht die düsteren Mächte des Schicksals, sondern die Wünsche und Fantasien derer, denen sie weissagen.
Überhaupt spielen die Kinder eine große Rolle, auch jene, die das Ehepaar Macbeth nicht hat. Welker unterlegt die Szene, in der die Opfer der Rach- und Herrschsucht ihren Trauergesang anstimmen, mit einem fesselnden Bild von dem scheiternden Traum des Königs und der Lady vom trauten Familienleben - ein genialischer Moment, wie er nur ganz großen Regisseuren gelingt. Auf seine Trierer "Carmen" im Herbst darf man gespannt sein.
Saarbrücken wie Kaiserslautern können musikalisch mit brillanten Leistungen aufwarten. In der Pfalz führt Uwe Sandner das Orchester zu jener elementaren Wucht, die Schostakowitsch braucht. Nicht einmal Madonna beschreibt musikalisch so realitätsnah einen Geschlechtsverkehr, niemand produziert solche Spannung und solche Ausbrüche wie der russische Komponist. Orchester und Chor des Pfalztheaters treiben die Musik plastisch in den Zuschauerraum. Yamina Maamars Lady verbindet dramatische Verve, präzise Charakterdarstellung und atemberaubende Präsenz - und hat in Alexey Kosarev und Wieland Satter Mitspieler auf Augenhöhe.
An der Saar findet Dirigent Marzio Conti das richtige Tempo und den angemessenen Verdi-Klang. Das legt der kraftvollen, mit schönen Spitzentönen ausgestatteten, leidenschaftlich leuchtenden Stimme von Melba Ramos einen perfekten Teppich aus, über den sie als Lady Macbeth fast schon zu elegant (Verdi wollte für die Rolle eigentlich eine hässliche Stimme) schreitet. Olafur Sigurdarson, als - warum auch immer - mafiöser Beerdigungsunternehmer auftretend, liefert einen fein nuancierten, eher verzweifelten als zynischen, am Ende gar mitleiderregenden Titelhelden - souverän bei Stimme, ohne Forcieren, sensibel im Umgang mit dem Wort.
Vorstellungen in Kaiserslautern am 9., 20. Mai; 7., 28. Juni; 4. Juli. Aufführungen in Saarbrücken: 30. April; 8., 20., 23. Mai; 12., 22., 27. Juni; 6., 12., 20. Juli.

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