reingehört

"Die verkaufte Braut" und "Die Moldau" - der Opernhit und der Konzertreißer erfreuen sich immer noch größter Beliebtheit. Und was ist mit dem großen Rest, den Bedrich Smetana (1824-1884) geschrieben hat? Praktisch verstummt, jedenfalls jenseits des tschechischen Musik- und Sprachraums (der deutsch aufgewachsene Friedrich hat als junger Erwachsener seinen Namen nationalitätsbewusst tschechisiert).

Die patriotischen Opern, etwa "Die Brandenburger in Böhmen" oder "Dalibor", sind seit ihrer Uraufführung außerhalb seiner Heimat kaum auf hörwillige Ohren gestoßen. Nur eine überschaubare Anzahl von Konzertveranstaltern nimmt - abgesehen von "Mein Vaterland" mit der "Moldau" - die übrigen sinfonischen Dichtungen, "Wallenstein" etwa oder seine "Triumph-Sinfonie" ins Programm. Und während selbst musikferne Menschen wissen, dass Beethoven am Ende seines Lebens taub war, ist es vielen unbekannt, dass der tschechische Nationalheilige vom gleichen Schicksalsschlag getroffen wurde. Bereits ab seinem 52. Lebensjahr plagte ihn Gehörlosigkeit. Da hatte er seinen größten Hit, "Die Moldau", noch nicht einmal skizziert. Was heutzutage vermutlich nicht einmal mehr Prager Klavierschüler aufs Notenbrett gesetzt bekommen, hat jetzt der italienische Pianist Roberto Plano ausgegraben: Albumblätter, Rhapsodisches, musikalische Skizzen, manches davon durchaus mit Ohrwurmcharakter. Wer nur den symphonischen Volltöner Smetana kennt, wird bei diesen fein ziselierten Amuses Gueules erstaunt die Ohren aufsperren. Plano musiziert sie mal filigran, mal feurig, mal elegant und mal ekstatisch, findet stets die richtige Balance zwischen wuchtigem Zugriff und glasklarem Spiel. Manche der Petitessen klingen, als habe der 14 Jahre ältere Chopin seinem Kollegen beim Komponieren ein paar Ideen ins Ohr geflüstert. Anderes wiederum verbreitet einen Hauch von Spanien oder Frankreich. Und immer wieder durchzieht die kleinen Kompositionen eine melancholisch-slawische Grundstimmung. Smetana komponierte diese Stücke, von denen ein Gutteil auch ohne übertriebene technische Brillanz zu bewältigen ist, für das musikbeflissene Prager Bildungsbürgertum, das sich für seine höheren Töchter einen Flügel in den Salon stellte. Die Skizzen und Albumblätter, die meisten kaum länger als zwei Minuten, brachten dem zeitweise in finanziell ziemlich desolaten Verhältnissen lebenden Komponisten einen dringend benötigten Brotverdienst, mit dem er Frau und Töchter ernähren konnte - und die Aussicht auf Folgeaufträge, da die Amateurpianisten nicht genug von seinen Einfällen bekommen konnten. Da die ziemlich lange in den Schubladen geschlummert haben, klingen sie heute frisch und neu. Gelegenheitswerke, zum Vergessen viel zu schade. Rainer Nolden

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