Ärzte simulieren Notstand

WITTLICH. Von 600 niedergelassenen Ärzten in der Region sollen 50 vor der Insolvenz stehen. Betriebswirtschaftlich gesehen, seien viele Praxen pleite. Um zu zeigen, welche Folgen die Honorareinbußen, deren Ursache die Mediziner bei der Preispolitik der Kassen ausmachen, haben können, machten Praxen in der Kreisstadt beim Protesttag mit.

Montagmorgen, Anruf beim Arzt. Eine freundliche Stimme vom Band sagt: "Aufgrund des landesweiten Protesttages der Ärzte und Arzthelferinnen haben wir eine eingeschränkte Terminsprechstunde. Wir arbeiten mit reduziertem Personal, um zu zeigen, wie die Versorgung der Patienten durch die Gesundheitspolitik gefährdet ist." Eine andere Bandansage aus Wittlich erklärt: "Patienten, die schon Termine für heute hatten oder Notfälle werden behandelt. Bitte bringen Sie etwas Zeit mit." Dr. Joachim Hölle-Gindorf, der mit Michael Praeder eine chirurgische Gemeinschaftspraxis betreibt sagt: "Wir wollen zur Bewusstseinsbildung bei den Patienten beitragen und mit reduziertem Personal vorführen, wie es sein könnte, wenn wir abrechnungsbedingt Personal entlassen müssen." Normalerweise hätten gestern sechs der zehn Arzthelferinnen gearbeitet. Gestern waren es nur drei. Ihre Kolleginnen sind zur Demonstration nach Mainz gefahren, die Patienten zeigten Verständnis. Das bestätigt Hals-Nasen-Ohren-Arzt Heinz-Jürgen Weitzel: "Die Reaktionen sind positiv. Die Patienten, die über die Thematik aufgeklärt sind, haben gesehen, dass ihre Versorgung langfristig nicht sicher ist." Derzeit werde insbesondere von den Kassen behauptet, es würden alle Leistungen uneingeschränkt vorgehalten. Das sei aber nur so, weil der Ärztestand Leistungen erbringe, obwohl sie nicht kostendeckend seien. Bernhard Schumacher von der Gemeinschaftspraxis Steyns-Teusch erklärt: "Die Kompliziertheit der Vorgänge ist für Außenstehende schwer zu durchschauen, aber interessierte Patienten sehen die Missstände."Keine Transparenz, Wunsch nach realistischen Zahlen

Seine Kollegin Daniela Negwer sagt: "Dadurch, dass wir mit einem halben oder drei Viertel Jahr Verspätung die Abrechnungen erhalten, ist keine Transparenz da, nur Machtlosigkeit." Karl-Heinz Teusch fügt an: "Ambulante Operationen haben wir ganz eingestellt. Da kriegen wir weniger, als es kostet." Die 5,11 Cent, die als Maßeinheit einen Punkt im Behandlungskatalog vergüten sollten, seien ein Wert, der die betriebswirtschaftliche Arbeitsweise in der Praxis abbilde. Darauf hätte man sich Anfang des Jahres auch mit den Kassen geeinigt. In der jetzt vorliegenden Abrechnung des ersten Quartals sei dieser Wert allerdings um bis zu 50 Prozent geringer ausgefallen. Sollte das so bleiben, müssten Personal entlassen und Investitionen gestrichen werden. Mit dem Protesttag hoffe man, eine Kostenerstattung auf den Weg zu bringen, die eine realistische Kalkulationsgrundlage für Ärzte sei und kein System, das imaginäre Zahlungsmittel abbilde. Zum Thema äußert sich auch der Wittlicher Landesvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Andreas Grewenig, in einem Leserbrief. Darin fragt er: "In welchen Bürotürmen versickern die stattlichen Beiträge, die jeder Versicherte - in gutem Glauben, damit seine Gesundheit abzusichern - monatlich zahlt?" "Die Ärzte sind überbelastet und ersticken in einer Papierflut", meinte gestern ein Patient an der Praxistür, "Und sie sagen, sie verdienen weniger. Man weiß als Patient zu wenig darüber. Aber ich habe Verständnis für ihren Protest."

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