Rote Rücken und Läuse

Anfang März 1945 rückte das Kriegsgeschehen am Boden näher. Die Schrecken vom 29. Dezember 1944 mit 28 Ziviltoten unter den Einwohnern von Großlittgen waren noch nicht verkraftet. Durch einen Fliegerangriff war der Ort schwer zerstört worden.

Anfang März 1945 war das Kriegsgeschehen nicht mehr so weit weg und die Bewohner von Großlittgen suchten in ihren Hauskellern Schutz. In den gewölbten Kellern fühlten sich die Leute einigermaßen sicher, um aber mehreren Personen für eine zeitlang darin Aufenthalt zu schaffen, waren sie doch zu klein. So waren bei uns im Keller auch Leute aus der Nachbarschaft mit sieben erwachsenen Personen und vier Kindern. Hinzu kam, dass der Keller in Kartoffelfächer abgetrennt war und das Eingemachte darin gelagert wurde. Dort, wo Platz war, sowie auch auf den Kartoffeln wurden leere Säcke und Matratzen ausgelegt und vorne im Keller ein Ofen aufgestellt, wobei das Ofenrohr zur Kellerluke rausguckte. Die Haustür war nicht verschlossen. Öfters kamen deutsche Soldaten ins Haus, meldeten sich im Hausflur, wobei sie über die Front berichteten. Dabei baten sie meistens um ein warmes Getränk, kamen in den Keller und tranken eine Tasse Kaffee. Der Keller wurde fast gar nicht mehr verlassen, da die Gefahr von Artilleriegeschossen zu groß war. Nur zum Füttern des Viehs begab man sich in die Stallungen, morgens und abends gab es frische Milch. 8. März 1945: Die Front hatte sich Großlittgen genähert und aus Richtung Landscheid kam der Feind, auf der Anhöhe von Gut Heeg nahme er Großlittgen in sein Schussfeuer. Der Müllersohn B. Zender berichtet: Großlittgen wurde vom deutschen Militär stark verteidigt, es wurde dem Gegner nicht leicht gemacht, den Ort zu erobern. Das deutsche Militär verschanzte sich diesseits der Salm im Wald und fügte den Angreifern in der Nacht vom 8./9. März schwere Verluste zu. Die Brücke über die Salm bei der Großlittger Mühle wurde in der Nacht von deutschen Soldaten gesprengt, um ein schnelles Übersetzen des Gegners zu verhindern. 9. März 1945: Großlittgen wurde mit schwerem Geschoss bombardiert und der Widerstand des deutschen Militärs ging langsam zurück. Die Amerikaner überquerten die Salm und durchsuchten unsere Mühle nach deutschen Soldaten. Bei dem schweren Beschuss am 9. März hat es Tote und Zerstörung gegeben. Die Familie Nikolaus Theis wohnte in der "Tränkgass" zwei Häuser oberhalb des Schulgebäudes. In ihrem Wohnhaus gab es keinen Keller, deshalb hatten sie sich eine Unterkunft im Schulhaus gesucht. Auch die Bewohner des Schulgebäudes und aus der Nachbarschaft suchten in den abgetrennten Kellerräumen Schutz. Ein Artilleriegeschoss schlug am 8. März durch die Giebelwand des Schulgebäudes in einen Kellerraum. Durch die Druckwelle wurden das Bettzeug, Kissen und Federbetten zerrissen, die Menschen erstickten in den Federn (vier Personen der Familie Nikolaus Theis), sowie die Lehrerin Fräulein Fischer. Zwei weitere sich in dem Schulkeller befindene Personen starben an den Beschussfolgen, (Frau Roos sowie der kleine Hans). 10. März 1945: Am frühen Vormittag rief ein Dorfbewohner in unser Kellerfenster hinein: "Kommt alle aus dem Keller, auch die Kinder. Die Amerikaner sind da!" Er wartete auf dem Hof und sagte: "Macht euch fertig, denn alle Dorfbewohner müssen sich bei der Wirtschaft Hubert versammeln." Wir begaben uns zu der genannten Stelle und hörten was geschehen war. Am Morgen waren Wilhelm Pesch-Eis und Matthias Grün den Amerikanern mit einer weißen Fahne entgegen gegangen. Man hörte, dass die gesamte Bevölkerung ihre Häuser verlassen müsse, und in neun genannte Häuser in der "Altstraß" untergebracht würde. Man durfte kurz nach Hause um das Notwendigste zu holen. Vor unserem Haus standen ein schwerer Panzer und innen amerikanische Soldaten. In der Küche hatten sie den geräucherten Schinken in den Fingern und auf Eier in die Pfanne geschlagen. Ich wollte aus dem Küchenschrank noch ein paar Teile holen, das ließen sie aber nicht zu. Ich holte aus dem Keller ein paar Dosen Wurst, ein Brot sowie Decken und Kissen, dann gingen ich und die vier Kinder in die uns zugewiesene Unterkunft in die "Altstraß", wobei überall amerikanische Soldaten zu sehen waren. Als wir in der "Altstraß" an den Kritscherweg kamen, lagen auf der linken Seite bei der Scheune und dem Schuppen zwei tote deutsche Soldaten. Von der "Kritsch" herunter kam ein deutscher Soldat. Er kam unter Gewehrbeschuss und lag gleich am Boden. Wir waren ins "Berndten-Haus" eingewiesen worden, wobei neben dem Wohnhaus Stallungen und Scheune zum Unterbringen der Leute genutzt wurden. Jeder musste sehen, dass er eine Stelle fand, wo er sich niederließ. In der Küche hatte ich mit den zwei jüngsten Kindern Platz gefunden, und hatte diese zum Schlafen untern den Tisch auf den Boden gelegt. So waren hier im Haus 132 Personen untergebracht. Die Leute ernährten sich zum Teil von dem zu Hause mitgebrachtem und nebenbei wurde im großen Schweinetopf, der im Nebengebäude der Stallungen stand, Eintopf gekocht. Aber das Essen war schlecht und vor allem die Kinder, aber auch Erwachsenen, bekamen Durchfall. Die Leute, die Vieh zu versorgen hatten, durften morgens und abends je eine Stunde zum Füttern nach Hause gehen. Da wir Schweine und Hühner hatten, konnte auch ich morgens und abends nach Hause, um nach dem Rechten zu sehen. Es war nicht erlaubt, sich zu Hause auf dem Hof aufzuhalten. Die Kinder, die mit auf dem Heuboden schliefen, hatten rote Rücken und die Kleiderläuse bekommen. Nach fünf Tagen hatte ich mich entschlossen, mit den Kindern nach Hause zu gehen, denn man hatte auf dem Weg zum Füttern die letzten Tage keine Soldaten gesehen. Es war ein schöner, aber kalter Märztag und Leute wollten mich von meinem Vorhalten abhalten. Doch die Kinder waren krank, und schlimmer als hier konnte es nicht werden. Um die Mittagsstunde nahm ich mit den Kindern unsere Sachen und ging hinters Haus, wo unser Garten an das Anwesen hier angrenzte. Ich riss ein paar Zaunlatten weg und wir gingen durch unseren Garten über die "Kritsch" und "Schusterecken" nach Hause in die "Lehmgass". Zu Hause musste viel aufgeräumt werden, denn die Soldaten hatten wüst gehaust. Ich sah zuerst nach, ob niemand im Haus war. Den Waschkessel in der Küche füllte ich und machte Feuer darunter. Dann fing ich an, Stube und Küche zu schrubben. Es gab kein Zimmer, das nicht durchwühlt war. Gegen Abend hatte ich die beiden Räume einigermaßen gesäubert. Der Stubenofen war angeheizt, und zum Abendessen machte ich gedämpfte Kartoffeln und Eingemachtes aus dem Keller. In der warmen Stube legte ich Decken und Kissen aus, um hier den Abend bei geschlossenen Fensterläden zu verbringen. Zwei volle Tage und Nächte waren wir nun hier zu Hause ohne jemanden gesehen zu haben. Am folgenden späten Abend hörte ich Geräusche und Leute. Es waren zwei Familien ebenfalls aus der "Lehmgass", die auch den Heimweg antraten. Erich Schuh lebt in Großlittgen und schreibt seit 30 Jahren Dorfgeschichte. Er hat mit Dorfbewohnern gesprochen, um deren Erlebnisse aufzuschreiben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort