Spagat zwischen Helfer- und Wächteramt

WITTLICH. Was passiert, wenn Kinder in ihrer Familie von Gewalt oder Verwahrlosung bedroht sind? Sie in einem Heim oder einer Pflegefamilie unterzubringen, ist für Jugendamt und Amtsgericht immer der allerletzte Schritt.

Passanten beobachten, wie ein Kind auf einer Moselbrücke rumturnt. Es sieht so aus, als wollte es in die Tiefe springen. Die Beobachter verständigen die Polizei, die wiederum das Jugendamt. Das Kind wird gerettet, das Amt forscht nach. Die Mutter des Kindes, die allein die Verantwortung für ihre vier Nachkommen trägt, ist offensichtlich überfordert. Die Kinder drohen zu verwahrlosen. Auch eine Intervention des Jugendamtes kann die Situation nicht verbessern. Der Frau wird schließlich die elterliche Sorge entzogen, die Kinder kommen ins Heim. Gewalt, Missbrauch und Verwahrlosung

Solche Fälle sind selten, doch es gibt sie - auch im Kreis Bernkastel-Wittlich. Sechs Mal haben 2002 die Amtsgerichte Eltern im Kreis ihr Sorgerecht entzogen (bei 23 700 Kindern insgesamt). Die Kinder leiden in solchen Fällen unter Verwahrlosung, körperlicher oder seelischer Gewalt oder sexuellem Missbrauch. Nicht immer muss mutwilliges Verhalten der Eltern dahinter stecken, oft geht es auch um psychische Erkrankungen, Drogen- und Alkoholprobleme oder geistige Behinderung. Um schlimmen Schaden von Kindern abzuwenden, ist der Entzug der elterlichen Sorge das äußerste Mittel, zu dem die staatlichen Institutionen greifen. Peter Sauer, Direktor des Amtsgerichts Wittlich, stellt klar: "Das gesetzliche Ziel ist es, nach geeigneten Maßnahmen zu suchen, bevor man diesen allerletzten Schritt geht." Hans-Joachim Brand, Sozialarbeiter beim Jugendamt, meint: "Es ist immer ein Abwägen zwischen zwei Übeln. Ein Kind, das aus seiner Familie herausgenommen wird, erleidet fast immer ein Trauma. Es wird entwurzelt und fühlt sich oft auch noch schuldig." Bis der allerletzte Schritt gegangen wird, arbeiten Gericht und Jugendamt, in der Regel eng zusammen. Ilona Pauly, Diplom-Pädagogin beim Jugendamt, erklärt: "Meist geht einem Entzug elterlicher Sorge eine lange Geschichte voraus. Oft haben wir die Familien schon lange betreut und ihnen in Absprache mit dem Gericht viele Hilfsangebote gemacht." (siehe Hintergrund) Die Hilfsangebote sind freiwillig - mehr oder minder. Auf nicht kooperative Eltern müsse bei Gefährdung des Kindeswohls Druck durch die Drohung mit dem Entzug des Sorgerechts ausgeübt werden, so Pauly. Die Mischung aus Wächteramt und Hilfsfunktion, die das Jugendamt in diesen Fällen übernimmt, erleichtert es nicht unbedingt, das Vertrauen der Eltern zu gewinnen. Eine Crux, mit der das Amt leben muss. Hinweise auf Gewalt gegen Kinder oder deren Verwahrlosung bekommt das Jugendamt oft von Kindergärten, Schulen oder auch Nachbarn. Die Hinweise müssen von den Mitarbeitern des Amtes sehr ernst genommen werden. Nicht nur weil wehrlose Kinder in Gefahr sein könnten, sondern auch weil die Mitarbeiter, wenn etwas passiert, dafür den Kopf hinhalten müssen, im schlimmsten Fall sogar - wie Familienrichter auch - wegen Mittäterschaft angeklagt werden. Für die Mitarbeiter des Jugendamtes keine einfache Situation. Pauly: "Wenn jemand anruft, ist es schwierig zu beurteilen, was dahinter steckt." Den Familien einen Besuch abzustatten, bringe nicht immer Klarheit und die Kinder sagten, auch allein befragt, oft nicht viel. Selbst, wenn man die Betroffenen gut kenne, könne man nicht ausschließen, dass sie beispielsweise ihre Kinder misshandelten. Das Gericht, das den Entzug der elterlichen Sorge auf Antrag in der Regel des Jugendamtes anordnet, kann Gutachten beispielsweise zur Erziehungsfähigkeit der Eltern erstellen lassen. Dennoch meint Pauly: "Man ist sich nicht immer sicher, dass man das Richtige tut." Oft erfahre man das erst im Laufe der Zeit, wenn man sehe, wie sich das Kind beispielsweise im Heim, bei einer Pflegefamilie oder bei Verwandten entwickle.

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