Tausend Gründe, glücklich zu sein

BERNKASTEL-WITTLICH. Der Verein "Haus Shalom" unterstützt seit Jahren ein Projekt in Burundi (Afrika), das inzwischen weltweit Modellcharakter hat. In dem von Kriegen gebeutelten Land sammelt Marguerite Barankitse Kinder auf und schenkt ihnen neue Hoffnung. Lilo Musseleck, Vorsitzende eines Vereins, der "Haus Shalom" unterstützt, berichtete im Wittlicher Markushaus von der Arbeit der Frau.

Über Marguerite "Maggy" Barankitse gibt es unendlich viel zu erzählen. Als junge Frau war sie unscheinbar, studierte brav und erfolgreich, ganz wie ihre wohlhabende Familie es erwartete. Sie begann ihre Karriere als Lehrerin. In dieser Funktion zeigte sich erstmals ihr kompromissloser Charakter: Maggy, selbst aus dem Volk der seit Jahrzehnten tonangebenden Tutsi stammend, verklagte den Staat Burundi auf Chancengleichheit - auch für die Hutu. Und, noch unverständlicher für ihre Zeitgenossen, sogar für die Twa-Kinder, die Nachkommen der Buschmänner, die im sozialen Gefüge ganz unten rangieren. Danach wurde sie vom Dienst suspendiert.Um Haaresbreite dem Tod entgangen

Sie ging in die Schweiz, kehrte aber als Sekretärin von Bischof Josef aus der Region Ruyigi nach Afrika zurück. Als dieser 1993 in Europa weilte, überlebte Maggy um Haaresbreite ein Massaker im bischöflichen Garten. Mitten aus dem Gemetzel rettete sie 70 elternlose und traumatisierte Kinder. Das war der Anfang des Hauses Shalom (Haus des Friedens), das inzwischen zu stattlicher Größe angewachsen ist, und in dem im Lauf von nun elf Jahren mehr als 10 000 elternlose und aidskranke Kinder, aber auch Kriegerwitwen, Kindersoldaten und Bürgerkriegsflüchtlinge gerettet worden sind. "Dieses Haus soll kein Waisenhaus sein", hatte Maggy vom ersten Tag an gewusst. Kinder brauchen ein Zuhause, brauchen Familie, wenn nicht die eigene, so wenigstens Pflegefamilien. Geist und Seele brauchen sie ebenso wie Nahrung und Pflege. Ohne Rücksicht auf die Stammesherkunft, die in den seit der Unabhängigkeit Burundis im Jahre 1963 alle zehn Jahre auftretenden Bürgerkriegen eine so wichtige Rolle spielt, lebt sie mit "ihren" Kindern - zwischen 200 und 300 sind es aktuell, es waren aber auch schon mal 700. Ausnahmslos alle gehen zur Schule, alle arbeiten am Funktionieren des Systems Haus Shalom mit. Alle bekommen eine Ausbildung, und für jedes einzelne kümmert sich Maggy um die Sicherung von eventuell vorhandenem Besitz. Längst ist ihre Art zu arbeiten auf der ganzen Welt zum Vorbild geworden. Um den Teufelskreis der Armut zu zerbrechen, muss man auf allen Ebenen gleichzeitig ansetzen. Das scheint unmöglich und ist der aufrechten Maggy, deren eigenes Leben regelmäßig in Gefahr ist, dennoch gelungen. Internationale Preise wie der Kindernobelpreis, 2003 verliehen von der schwedischen Königin, der französische Menschenrechtspreis und Ehrendoktorwürden zeugen von der ihr entgegen gebrachten Hochachtung. Auch in Wittlich existiert ein Verein zur Unterstützung des Hauses Shalom. Die Vorsitzende, Lilo Musseleck, ist mit Maggy befreundet. Mit der letzten Überweisung konnte das Haus, das mittlerweile zum stattlichen Dorf angewachsen ist, eine dringend benötigte Wasserleitung installieren. Erste eigenständige Unternehmen zeugen nach elf Jahren, in denen Maggy unermüdlich Gelder und Helfer auf der ganzen Welt zusammen trommelt, vom Erfolg der Arbeit: Eine Bäckerei, ein kleiner Laden, eine Schneiderei und ein Gästehaus sorgen für Einnahmen und internationale Gäste. Denn das hat Maggy immer gewusst: Journalisten geben ihrem Projekt Schutz. "Ohne die internationale Berichterstattung wären ich und das Haus Shalom längst gestorben."Voller Stolz bei der Abschlussfeier

Für Maggy gibt es trotz der Instabilität, in der sie ihr Leben verbringt, tausend Gründe, glücklich zu sein. Ein besonders schwergewichtiger ist das erste Mädchen vom Stamm der Twa, das in Burundi überhaupt eine Hochschullaufbahn beendet hat: Da ließ sie es sich nicht nehmen, persönlich bei der Abschlussfeier dabei zu sein - im vollen Ornat und mit stolzgeschwellter Brust. So, wie sie auch ihre Preise entgegen zu nehmen pflegt. Dass sie nicht locker lässt, zeigt eine Geschichte, die Lilo Musseleck erzählte: Als Maggy mit allen Schikanen vom französischen Staatspräsidenten den Menschenrechtspreis erhalten hatte, ergriff sie das Wort. Sie hoffe doch sehr, dass dieselbe Hand, die diese Urkunde unterzeichnet habe, in Zukunft nicht weiter die Verträge unterzeichnen werde, die Waffen nach Burundi brächten. Unbeugsam und für alle ein rotes Tuch, so sieht sie sich. Für ihre Kinder jedoch ist sie die Einzige, die ihnen Zukunft gibt. Brot und Wasser, eine Ausbildung und medizinische Versorgung haben den Teufelskreis der Armut durchbrochen.

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