Viel Besuch in der "guten Stuw"

WITTLICH. Ein Sandsteinbecken in der Küche, niedrige Decken mit wieder freigelegtem Holzgebälk, Spindeltreppe und Takenheizung: Jahrelange Restaurierungsarbeiten in der Oberstraße 20 legen eindrucksvoll Zeugnis ab vom Alltag der Stadtbewohner vergangener Jahrhunderte.

Fünf Gebäude waren in der Säubrennerstadt zum Tag des Offenen Denkmals angekündigt: Synagoge, Altes Rathaus, Wohnhäuser in der Oberstraße 20 und 44 sowie die Alte Holzindustrie in der Kalkturmstraße. An sämtlichen, in einer Broschüre aufgelisteten Adressen herrschte reger Besucherandrang. An den beiden letztgenannten klopften die Menschen allerdings vergeblich an die Tore: Die ehemalige Direktorenvilla, heute "Alte Holzindustrie" genannt, reckte zwar ihre imposante Fassade in einen sommerlich blauen Himmel, die Türen allerdings blieben verschlossen. Der gleiche Frust in der Oberstraße 44: Hier stand zwar die Haustür offen, sie lud allerdings lediglich zur einsamen Besichtigung eines tipptopp umgebauten, modernen Ansprüchen genügenden Treppenhauses. Das war nicht unbedingt das, was die Menschen sich am Tag des Offenen Denkmals erhofft hatten.Vielleicht in Schichten geschlafen

In der Synagoge, im Alten Rathaus und in der Oberstraße 20 wurden die zahlreichen, an historischer Bausubstanz interessierten Besucher endlich fündig. Dr. Elisabeth von den Hoff, die 1980 das schmale Häuschen in der Oberstraße 20 erworben und vor dem drohenden Abriss bewahrt hatte, zog die Leute in ihren Bann. Sie, die bis vor wenigen Jahren auch unwilligen Schülern den gymnasialen Stoff der Mathematik nahe bringen konnte, war in ihrem Element. Da stand eine Tafel vor dem Haus, in Händen hielt sie die fotografische Dokumentation der Sanierungsarbeiten, die im Laufe der Jahre in einem der ältesten Häuser Wittlichs angefallen waren, und in der ehemaligen guten Stube waren Katasterauszüge ausgelegt. "Fragen Sie mich nicht, wie die damals hier mit zwölf Leuten gelebt haben", lachte sie angesichts der bedrückenden Enge in den wenigen Räumen, und gab die Idee einer Bekannten weiter: "Vielleicht haben sie in Schichten geschlafen. Wer schon eingeschlafen war, wurde senkrecht an die Wand gestellt und machte Platz im Bett für die nächsten."Einblick in den Alltag armer Leute

Wie dem auch sei: Das winzige Flur-Küchen-Haus, seit Jahren wieder bewohnt von einem Junggesellen, der sich liebevoll um die geschichtsträchtigen vier Wände kümmert, vermittelte einen echten Einblick in den Alltag armer Leute vor 200, vielleicht sogar vor 300 Jahren. Von den Hoffs Vermutung, das Haus sei kurz nach dem großen Brand in der Stadt Anfang des 18. Jahrhunderts erbaut worden, belegt sie mit den allein aus Sandstein erbauten Wänden. Schnell habe man bemerkt, dass Sandstein die Feuchtigkeit zu sehr aus dem Boden zieht, und besser isolierende Schieferschichten dazwischen gebaut, wie an der Rückfront eines benachbarten, unverputzten Hauses noch heute zu erkennen ist. Mühsam freigelegt hatte von den Hoff Anfang der 80er Jahre eine Spindeltreppe aus Sandstein, deren Stufen teilweise vollkommen durchgetreten waren, eine damals übliche Takenheizung zwischen Küche und der "guten Stuw", ein Sandsteinbecken in der Küche sowie eine original Balkendecke. Nur die schweren Arbeiten hatte sie von Firmen erledigen lassen, das mühevolle "Kratzen" hatte sie eigenhändig besorgt: am Nachmittag nach der Schule und über mehrere Jahre. Die Mühe hat sich gelohnt. Bis gegen 18 Uhr führte sie Besuchergruppe nach Besuchergruppe durch das schmucke Häuschen, das im ersten, aus dem Jahre 1828 datierten, Kataster von Wittlich die Nummer 461 trug, die inzwischen wieder einträglich neben der heute gültigen 20 prangt.

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