Wer los lässt, wird frei

Unlängst hat mich ein guter junger Freund angerufen. Er berichtete fassungslos von der Absage, die er auf eine viel versprechende Bewerbung erhalten hatte. Lange hatte er darauf hingearbeitet und war zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden.

Nach seinen Erzählungen war die Stelle wie für ihn geschaffen. Ich merkte ihm an, dass eine Welt für ihn eingestürzt war. Seine Pläne und Hoffnungen schienen auf einen Schlag vernichtet. Nun haben wir uns wieder getroffen. Zu meiner Überraschung war er wie ausgewechselt. Was war passiert? Als er dabei war, die Absage zu verkraften, hatte sich eine andere Möglichkeit für ihn aufgetan. Vorher hatte er keinen Gedanken an diese Alternative verschwendet, doch dann war sein Kopf frei dafür. Voller Enthusiasmus hat er mir von der neuen Chance erzählt, wie gut sich alles gefügt hat. Im Licht der neuen Situation konnte er realistischer die Nachteile der Stelle sehen, die er für perfekt gehalten hatte. Wenn man enttäuscht wird, tut das weh. Es fällt schwer, eine lieb gewordene Idee aufzugeben, egal ob es Partnerschaft, Berufsweg oder persönliche Träume betrifft. Ich erlebe aber auch, dass sich ganz neue Chancen eröffnen, wenn ich die alten Pläne und Träume los lasse. Das kann wie eine Befreiung sein. Vielleicht muss man erst abschließen, um frei für Neues zu sein. Das ist dann wie ein Wunder: Gestern war die Situation ausweglos, heute ist das ein neuer Weg. In der Sprache des Evangeliums ist das eine Form der Auferstehung. Etwas, was festgefahren, ja tot war, wird zu neuem Leben erweckt. Christen sehen hier Gott am Werk, der heilsam immer wieder neue Horizonte eröffnet. Mein junger Freund hat so ein Wunder erfahren. Ich schöpfe daraus den Mut, an meinen Wünschen und Vorstellungen nicht krampfhaft festzuhalten, wenn sie sich nicht erfüllen wollen. Wenn ich sie los lasse, lassen sie auch mich los. Hermann Barth, Altrich

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