Zu viele verlorene Jahre

SALMTAL. Der 1917 geborene Johann Legrand sitzt bei seinem Besuch in der Regionalen Schule Salmtal am Tisch und blickt auf seine Hände, als wisse er nicht, wie er anfangen soll. Man sieht ihm an, dass er mit sich und der Erinnerung an die wohl schlimmste Zeit seines Lebens kämpft.

Als Legrand 1939 seinen Militärdienst bei der deutschen Wehrmacht antrat, ahnte er, dass ihm die schrecklichste Zeit seines Lebens bevorstand, aber wie hart ihn das Grauen treffen sollte, wusste er nicht. Legrand hat die schlimmen Ereignisse, die er während des Krieges und besonders danach erlebt hat, bis heute nicht vergessen. "Kaum hatte der Krieg begonnen, musste ich sechs Jahre zum Militär. Aber kaum war das vorüber, kam ich zwölf Jahre in die Gefangenschaft bei den Russen", sagt er mit einem traurigen Gesichtsausdruck. Zwölf harte Jahre voller Schläge, Hungersnot und Kälte lagen vor ihm. "Es gab nicht viel zu essen und zu trinken", erzählt er bedrückt. Nur wenige der Gefangenen haben diese Höllenzeit überlebt. Sein einziger Trost war, dass die wenigen Überlebenden immer fest zusammenhielten. Es gab erbärmliches Essen, das kaum diesen Namen verdiente nur dünne Suppe. "Ich habe oft versucht zu fliehen, doch ich habe es nie geschafft, denn ich wurde immer von den russischen Soldaten erwischt, geprügelt und zurück in die Baracke gesteckt", erzählt er, während er nicht in unsere Gesichter, sondern nur auf den Tisch schaut. Doch das Schlimmste für ihn war wohl, dass seine Frau die ganze Zeit nicht wusste, wo ihr Mann war. Die beiden hatten im Krieg geheiratet und sich nur kurze Zeit gesehen. 1957 wurde Legrand endlich freigelassen und kam mit dem Zug nach Hause. Bei seiner Rückkehr war das ganze Dorf festlich geschmückt. Auf die Frage nach seinem schönsten Erlebnis antwortet er mit einem Lächeln: "Die Dorfgemeinschaft hat für mich das Dorf geschmückt und mich so herzlich empfangen. Das war eines meiner schönsten Erlebnisse." Glücklich war er, als er nach den langen Jahren seine Frau in die Arme schließen konnte. "Aber vieles habe ich meiner Frau nicht erzählt, das hätte sie nicht verkraftet", verrät er mit leiser Stimme. Auf die Frage, ob er Hass auf die Russen empfinde, antwortet er mit Nein. Denn dadurch bekäme er seine verlorene Zeit auch nicht zurück. Noch heute träumt Legrand von der Gefangenschaft bei den Russen, doch er ist froh, wenn diese Träume wegbleiben. Um alles zu verarbeiten, hat er sich unbewusst einen Psychologen geschaffen. Er macht Musik, spielt Orgel, Mundharmonika und Schifferklavier. "Obwohl ich keine Noten lesen kann, habe ich mir etwa 650 Lieder frei aus dem Gedächtnis beigebracht", erzählt er stolz. Legrands Urlaubstraumziel ist sein Zuhause, denn fort sei er lange genug unfreiwillig gewesen, meint er. Trotz all seiner schlimmen Erlebnisse scheint er ein lustiger Mensch zu sein, dem man sein Alter nicht ansieht. Johann Legrand ist ein netter, einfühlsamer und mutiger Mann, der uns ein wenig Einblick in fast 20 "verlorene" Lebensjahre gegeben hat. Still lauschten wir, als er uns zum Abschluss auf der Mundharmonika vorspielte.

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