Dem Orient zugewandt

WITTLICH. (peg) 30 Frauen und Männer waren der Einladung zum alten jüdischen Friedhof am Rande der Stadt gefolgt. Hier steht auch der älteste Wittlicher Grabstein überhaupt.

Nein, es sind nicht nur Juden aus der Stadt hier beerdigt, auch aus dem dörflichen Umfeld wurde diese letzte Ruhestatt genutzt. Ja, auch Juden hoffen auf die Auferstehung an einem Jüngsten Tag. Nein, Mischehen waren, zumindest in der örtlichen Gemeinde, nicht üblich. Nein, das Kreuz auf einem der Grabsteine hat dort natürlich nichts verloren: Es ist durch die Unachtsamkeit eines christlichen Steinmetzen bei Restaurierungsarbeiten darauf geraten. Es zeigte sich, dass ein Friedhof durchaus ein Ort sein kann, der viele Fragen aufwirft, zumal, wenn er von einer fremden Glaubensgemeinschaft genutzt wird, oder, in diesem Fall, wurde. Denn eine jüdische Gemeinde existiert in Wittlich seit 1942 nicht mehr. Aus diesem Jahr stammen die beiden jüngsten Grabsteine im Judenbüsch: zwei Schwestern, die während des Abtransports der letzten Juden im Krankenhaus lagen und nur deshalb noch eines natürlichen Todes sterben durften. Die Inschriften, mal auf Hebräisch, mal auf Deutsch, mal beide Sprachen vereint auf dem selben Grabstein, weisen alle nach Osten, denn dort liegt Jerusalem. "Sie sind "zum Orient orientiert", schmunzelte Werner Bühler, der als Mitarbeiter der KEB und des Arbeitskreises "Jüdische Gemeinde" gleich doppelt prädestiniert ist für die Rolle als Führer über diesen fast vergessenen Friedhof. Vereinzelt bitten Nachfahren ehemaliger Bürger um den Schlüssel zum Tor, ansonsten kommen höchstens Schulklassen hierher - und die rund 30 Neugierigen, die den europäischen Tag der jüdischen Kultur zur Erweiterung des eigenen Horizontes nutzten. Einige Jüngere hatten keine Ahnung, wo sich der Friedhof überhaupt befindet, andere wollten ihre Erinnerung auffrischen. Sie zeigten sich überrascht: Mancher hatte ihn weiter in Richtung Sterenberg vermutet, mancher ihn vor Jahrzehnten ganz überwuchert gesehen, manche hatten das Gelände weniger steil in Erinnerung. Gelernt haben sie alle: Dass nach jüdischer Zeitrechnung das Jahr 5766 läuft, dass neben dem einzigen, als letzte Ruhestätte für ein Kind erkennbaren Grab noch zahlreiche andere Kindergräber ohne Stein am Zaun entlang vermutet werden, und dass das älteste Wittlicher Grab aus dem Jahr 1672 stammt, als zum zweiten Mal Juden in dieser Stadt siedelten. Nächster Termin einer Führung: Sonntag, 24. September.

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